Christdemokratische Parteien geben ihre Traditionen auf und ändern die Namen

von THOMAS PHILIPP REITER

BRÜSSEL – Die Partei, die sich vor einigen Wochen in Belgien den gewöhnungsbedürftigen neuen Namen „Les Engagés“ gegeben hat, war 1884 als „Katholische Partei“ gegründet worden und wurde später analog zu ihrer bayerischen Schwester CSU in „Sozialchristliche Partei“ umbenannt.  Zuletzt hieß die Gruppierung „Humanistisch-demokratisches Zentrum“ („Centre démocrate humaniste, CDH“), bis man sich nun endgültig im März dieses Jahres entschloss, sich auch im Namen von seinen Wurzeln zu trennen. Die Parteiführung folgt damit einem europäischen Trend, der vor Deutschland bislang noch Halt macht.

Die belgischen Christdemokraten verorteten sich seit ihrer Aufspaltung 1968 in eine voneinander unabhängige französischsprachige und eine niederländischsprachige Partei im Mitte-Rechts-Spektrum des politischen Gefüges. Doch sowohl die flämischen Nachbarn von „Christen-Democratisch en Vlaams“ (zuvor noch „Christelijke Volkspartij“) im Norden als auch die Wallonen im Süden entfernten sich im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr von ihrer christlich-bürgerlichen Wählerschaft in Richtung Mitte und darüber hinaus nach links. Schon früh nahm die Partei Kandidaten protestantischen Glaubens, aus der kongolesischen Gemeinschaft oder Anhänger des Islam, nordafrikanischer oder türkischer Abstammung auf ihre Listen. Dennoch gelang ihr der Durchbruch zum Beispiel in muslimische Kreise weit weniger als beispielsweise den Sozialisten.

Bis in die 1990er Jahre bildete die Partei stets das Rückgrat der belgischen Regierungskoalitionen mit Wahlergebnissen immerhin zwischen 20 und 25 Prozent. Zu jener Zeit verstand sie sich noch als politischer Arm eines gefestigten katholischen Netzwerks im Land. Sie verteidigte und förderte deren Interessen in verschiedenen Tätigkeitsbereichen wie Bildung, Gesundheit, Kultur, Soziales oder Entwicklungszusammenarbeit. Doch nach und nach wurde auf all diesen Gebieten jede katholische Verbindung aufgegeben.

2002 verabschiedete dann ein Parteikongress einen neuen Namen: Humanistisch-Demokratisches Zentrum (CDH). Nach dieser ausdrücklichen Abkehr vom christlichen Bezug und einem zunehmend weiter links geprägten Programm gründeten einige ihrer Mitglieder eine neue Partei: die französischsprachigen Christdemokraten (CDF), die später zu „Föderalen Christdemokraten“, aber niemals erfolgreich wurden. Die Öffnung nach links sowie zu nichtchristlichen Gruppierungen führte unweigerlich zu einer Abwendung der konservativeren Wählerschichten.

2010 war das CDH die erste Partei, die eine verschleierte Frau in das Parlament der Region Brüssel-Hauptstadt brachte, was eine Reihe empörter Kommentare hervorrief. Manche der muslimischen Kandidatinnen und Kandidaten auf regionaler oder Gemeindeebene zeigten sich sogar offen homophob oder antisemitisch. 2014 kandidierte mit der Türkin Mahinur Özdemir eine Politikerin für die Regionalwahlen in Brüssel, die sich weigerte, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen. Sie wurde später wieder aus der Partei ausgeschlossen.

Es reiche angesichts der aktuellen Herausforderungen nicht aus, „sich zu empören“, man müsse sich vielmehr „verpflichten“, erklärt Parteivorsitzender Maxime Prévot den Namenswechsel. „Les Engagés“ kann dabei sogar als Wortspiel verstanden werden, denn der Begriff lässt sich auch mit „Die Verlobten“ übersetzen. Die Partei noch einmal umzutaufen sei das Ergebnis eines Prozesses, der zwei Jahre zuvor begonnen habe. So verstehe man sich zukünftig auch eher als Bewegung denn als Partei. Dabei dürfte man sicher auch auf das linksliberale Experiment „La République en marche“ („Die Republik in Bewegung“) in Frankreich geschaut haben, das Emmanuel Macron erfolgreich zum Präsidentenamt verholfen hat. Erklärter Wille dieser Bewegung sei es, einen Bruch mit den bisherigen Praktiken zu markieren, die in der französischsprachigen Welt existierten. „Bei den Bürgern herrscht Politikverdrossenheit, weil wir eher Positionen als Werten hinterherlaufen“, so Parteichef Prévot, zugleich Bürgermeister von Namur, Hauptstadt des wallonischen Landesteils Belgiens. Er wolle eine „ergebnisorientierte Alternative“ anbieten, die sich um das Gemeinwohl sorge und es wage, Privilegien in Frage zu stellen.

Nichts was man nicht auch von anderen Parteien hören könnte, jedenfalls nichts was noch auf ein christliches Weltbild hindeuten würde. In der Schweiz ist man 2021 sogar noch radikaler vorgegangen und hat die dortige „Christlichdemokratische Volkspartei“ kurzerhand in „Die Mitte“ umbenannt. Im deutschsprachigen Ostbelgien übrigens hat die mit „Les Engagés“ strukturell verbundene „Christlich-Soziale Partei“ CSP ihren Namen bis heute beibehalten. Unter diesem begeht sie in diesen Tagen ihr 50jähriges Jubiläum.

Bildquelle:

  • Les_Engagés: les engagés

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