Chinas Immobilienkrise: Die erste Provinz steht finanziell vor dem Aus

ARCHIV - Schulden von umgerechnet mehr als 300 Milliarden US-Dollar lasten allein auf dem chinesischen Immobilienriesen Evergrande. Foto: picture alliance / dpa

von ESTHER VON KROSIGK

PEKING – Während China gegenüber Taiwan die Muskeln spielen lässt, werden die Probleme im eigenen Land immer größer. Denn die chinesischen Kommunalverwaltungen haben mit riesigen Summen an Schulden zu kämpfen – ausgelöst durch drei Jahre strenge Pandemiekontrollen und einen gewaltigen Immobiliencrash.

Erstmalig hat sich nun im April eine Provinz an Peking gewandt und um Hilfe gebeten. Die bergige Region Guizhou im Südwesten – eine der insgesamt 33 Verwaltungseinheiten der Volksrepublik –, hat dies getan, um den totalen Zahlungsausfall zu verhindern. Schulden von angeblich 3,6 Trillionen US-Dollar belasten die Region, die zwar traditionell zu den ärmsten im Reich der Mitte zählt, doch auch hier wurde gebaut und gebaut. Unvollendete und monumentale Gebäude stehen in der Landschaft – die regionalen Bauprojekte haben bereits 40 Billion Yuan verschlungen. Um sie für touristische Zwecke umzugestalten, müssten noch einmal 40 Billionen Yuan aufgebracht werden.

Der Zahlungsausfall einer Provinz könnte einen Dominoeffekt auslösen

Auch in anderen Provinzen sind die Schuldenberge gewachsen. Als Folge haben einige Städte bereits medizinische Leistungen für ältere Menschen gestrichen und andere lebenswichtige Dienstleistungen sind ebenfalls gefährdet.

Um möglichen Anfragen um Finanzhilfe aus der Provinz vorzubauen, hatte das chinesische Finanzministerium erst im Januar signalisiert, dass die Zentralregierung nicht zur Rettung von Lokalregierungen einzuspringen beabsichtigt. Aufgrund der prekären Lage scheint es sich Peking jedoch anders überlegt zu haben: Jüngst schickte es 50 Finanzexperten in die Provinz, um bei der Vorbeugung und Entschärfung von Risiken und bei der „Rettung“ der Immobilienbranche zu helfen.

Womöglich soll mit einer solchen Aktion Schlimmeres verhindert werden. Gegenüber CNN äußerte Steve Tsang, Direktor des Londoner SOAS China Institute, dass Peking wahrscheinlich sehr um einen Dominoeffekt besorgt sei und vielleicht unter einem Deckmantel die Verwaltung von Guizhou retten werde. Denn sobald eine Provinz in Verzug geriete, könnte das schwerwiegende Folgen haben und potenziell destabilisierend wirken. Fast ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung Chinas hängt vom Bausektor ab.

Die Immobilienkrise weitet sich zu einem gesellschaftlichen Problem aus

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Bis 2020 boomte der Immobilienmarkt in China – während 15 Jahren wurde so viel gebaut wie nirgendwo anders auf der gesamten Welt. Nicht wenige Apartments waren reine Spekulationsobjekte, niemand zog dort ein. Gleichzeitig erhöhten sich die Immobilienpreise in den 70 größten Städten um ein Vielfaches. Einige Käufer beschwerten sich über die Unbezahlbarkeit von Wohneigentum und die Regierung fürchtete eine mögliche Immobilienblase. Vor zwei Jahren wäre der Wohnungsmarkt beinahe kollabiert. Um ihn zu stabilisieren, verschärften einige chinesische Städte Anfang der 2020er-Jahre die Einschränkungen für den Kauf von Immobilien. Gleichzeitig wies die Regierung die Banken an, die Kreditvergabekriterien für Bauträger mit hohem Fremdkapitalanteil zu erhöhen. Diese Maßnahmen führten dazu, dass einige risikobereite Bauträger Liquiditätsprobleme bekamen und ausstehenden Schulden nicht mehr bedienen konnten. Das in Schieflage geratene Riesen-Unternehmen Evergrande ist seit Monaten vom Handel ausgesetzt.

Die Immobilienkrise ist inzwischen zur Ursache für gesellschaftliche Probleme geworden, denn Menschen, die geplante Wohnungen vom Reißbrett weg gekauft und sich dafür verschuldet hatten, konnten ihr Eigentum nie beziehen. Oder sie leben zwangsläufig in Rohbauten und müssen sich mit den äußerst primitiven Gegebenheiten dort abfinden. Sie fühlen sich betrogen.

Chinas hausgemachte Probleme könnten die Weltwirtschaft bedrohen

Um den überhitzten Immobiliensektor zu korrigieren, könnte man theoretisch einfach die Marktkräfte walten lassen und die Erschwinglichkeit von Wohnraum durch günstigere Immobilienpreise erhöhen. Doch eine solche Maßnahme hätte erhebliche Auswirkungen auf das Vermögen sehr vieler chinesischer Haushalte.

Noch ein weiterer Faktor spielt hinein: Ein erheblicher Preisrückgang bei Immobilien könnte den Rückgang des Konsums anderer Waren und Dienstleistungen nach sich ziehen. Und enorme wirtschaftliche Folgen haben. Schon lange warnen Experten, dass die Ära historisch hoher Wachstumsraten endgültig vorbei sein dürfte. Das Land der Mitte stehe vor einem drastischen wirtschaftlichen Niedergang.
Der Westen scheint diese hausgemachte Gefahr, die Einfluss auf die gesamte Weltwirtschaft hätte, noch nicht richtig wahrzunehmen. Der Fokus liegt derzeit auf einer möglichen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen China und Taiwan. Aber es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass ein Land von inneren Problemen durch äußere Aggression abzulenken versucht.

Bildquelle:

  • Immobilien in China: dpa

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