Chaos-Wahl in Caracas – Opposition spricht vom «Wahlbetrug»

Nach der Explosion eines Sprengkörpers in der Nähe einer Gruppe von Motorradpolizisten zündet die Nationalgarde in Caracas Motorräder der Presse an. Foto: Manaure Quintero

Nach Angaben der Wahlbehörde beteiligten sich 8,1 Millionen Bürger an der Wahl der 545 Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung.

Das entspreche einer Beteiligung von 41,53 Prozent, sagte die Chefin der Behörde, Tibisay Lucena, in Caracas. Die Opposition teilte mit, die Zahl sei viel höher, als es der Wahrheit entspreche. Zahlreiche Länder erklärten die Wahl für «illegal», die Pläne müssten gestoppt werden.

Präsident Nicolàs Maduro feierte das umstrittene Ergebnis, er wertete die 8,1 Millionen Stimmen und die Beteiligung von 41,53 Prozent als komplette Zustimmung für seine Person und seine Pläne. Das waren mehr Stimmen, als er bei der Präsidentschaftswahl 2013 erhalten hatte. «Dieses Stimmenverhältnis ist das größte für die Bolivarianische Revolution in 18 Jahren», sagte er. Es wurde aber nicht veröffentlicht, wie viele ungültige Stimmen abgegeben worden – oft werden als Protest in Venezuela Stimmen im Wahllokal ungültig gemacht.

Die Opposition hatte die Wahl boykottiert. Schon Stunden vor der Bekanntgabe der ersten Zahlen hatte der Präsident des Parlaments, der Oppositionelle Julio Borges, unter Verweis auf Informationen aus der Wahlbehörde mitgeteilt: «Der größte Wahlbetrug in unserer Geschichte. Lucena wird mehr als acht Millionen Stimmen verkünden, sie verdreifachen fast das wirkliche Resultat.» Die Opposition verwies auf Zahlen von nur 2,48 Millionen abgegebenen Stimmen – bei 19,4 Millionen Wahlberechtigten.

Die von Präsident Maduro verfügte Zusammensetzung mit vielen Vertretern der Arbeiterklasse und Gewerkschaften und der Boykott der Opposition sichert eine breite Mehrheit mit Sympathisanten der Sozialisten. Rund 5500 Kandidaten hatten sich um die Sitze beworben. Auch die bis vor kurzem als Außenministerin amtierende Delcy Rodríguez wurde gewählt, ebenso die Ehefrau von Präsident Maduro.

Mitte der Woche soll die Versammlung ihre Arbeit aufnehmen – und zwar im Gebäude des Parlaments, in dem die Opposition seit Anfang 2016 die Mehrheit hat. Es gibt Befürchtungen, dass die Verfassungsversammlung das Parlament dauerhaft ersetzen könnte – damit würde in Venezuela die Gewaltenteilung aufgehoben. Ende 2015 hatte die Opposition im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit gewonnen, Maduro versuchte fortan, mit Dekreten und Repression das Parlament in die Schranken zu weisen. Ein Referendum zu seiner Abwahl blockierte die Justiz.

Die umstrittene Wahl wurde von zahlreichen Todesfällen überschattet. Nach Angaben der Opposition starben am Wochenende mindestens 16 Menschen, die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte zehn Tote.

Maduro steht seit Wochen unter massivem Druck. Das Land mit den größten Ölreserven der Welt steht am Rande des Ruins, Menschen hungern, es fehlt an Lebensmitteln und Medikamenten. Er gibt dem gefallenen Ölpreis die Schuld. Um seine Stellung zu festigen – bei den Unruhen starben seit April mindestens 123 Menschen – hatte er eine Verfassungsreform vorgeschlagen; obwohl die bisherige von seinem Mentor und Vorgänger Hugo Chávez stammt. Es gehe um eine «ruhige Zukunft», um Frieden für Venezuela, meinte Maduro.

Trotz eines Demonstrationsverbots hatte das aus rund 20 Parteien bestehende Bündnis «Mesa de la Unidad Democrática» zu neuen Protesten gegen Maduro aufgerufen: «Gegen Diktatur und Verfassungsbetrug», lautete das Motto. Aber wegen der massiven Polizeipräsenz gab es kaum Zulauf. Zudem drohten bis zu zehn Jahre Gefängnis für Leute, die demonstrieren. Oppositionsführer Henrique Capriles sagte nach der Wahl: «Dies ist ein schwarzer Tag, verursacht von den kranken Ambitionen einer einzigen Person». Die Wähler seien massenhaft zu Hause geblieben, die Repression zeige die Verzweiflung des Regimes.

Die USA drohen mit Wirtschaftssanktionen, sie sind einer der größten Abnehmer des Öls. Auch die EU will das Votum nicht anerkennen, auch Argentinien, Peru, Chile, Brasilien und Kolumbien nannten die Wahl «illegal». Befürchtet wird eine weitere Verschlimmerung der Lage, Zehntausende sind bereits nach Kolumbien und Brasilien geflohen.

Es gab reihenweise Schießereien und kriegsartige Szenen. Zudem gab es Angriffe auf Wahllokale, Wahlcomputer wurden verbrannt. In Caracas gab es sieben verletzte Nationalgardisten bei einem Anschlag, mutmaßlich verübt von Gegnern Maduros. Dabei war im Viertel Altamira, wo die Ober- und Mittelschicht wohnt, ein großer Feuerball zu sehen.

Vizepräsident Tareck El Aissami sprach von einer «massiven Beteiligung». Bilder zeigten aber viele leere Wahllokale. Die Chefin der Wahlbehörde, Lucena, teilte mit: «Die Wahl der Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung ist im ganzen Land in ruhiger und friedlicher Weise abgelaufen.» Auf Hunderttausende Arbeiter in staatlichen Unternehmen wurde Druck ausgeübt, an der Wahl auch teilzunehmen. Mitte Juli hatten sich in einer von der Opposition organisierten Befragung 7,5 Millionen gegen die Reform ausgesprochen.

Bildquelle:

  • Krise in Venezuela: dpa

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