Berlin – Joachim Löw will seine Weltmeister-Auswahl im kommenden Jahr auf die Mission WM-Titelverteidigung 2018 vorbereiten. Der eigentlich ungeliebte Confederations Cup im Sommer bietet da auch gewisse Möglichkeiten. Langfristig sieht der Bundestrainer Probleme für den Fußball, wenn der Expansionsdrang der großen Verbände nicht gestoppt wird. Besonders eine mögliche WM-Ausweitung auf bis zu 48 Nationalteams ist nicht nach dem Geschmack von Löw. Der DFB-Chefcoach sieht FIFA und UEFA in der Pflicht.
Was wünschen Sie sich für 2017 persönlich und für den deutschen Fußball?
Joachim Löw: Persönlich wünsche ich mir, dass ich manchmal ein bisschen Zeit finde, zwischen meinen vielen Terminen und dem vielen Unterwegssein. Ich wünsche mir ein bisschen Zeit für Freunde und Familie, Menschen, die einem persönlich wichtig sind, Gesundheit und weiterhin die Motivation, die ich habe. Ich wünsche mir auch, dass wir alle gemeinsam die Herausforderungen, die es in unserem Land gibt, gut bewerkstelligen, dass wir uns mit Respekt begegnen, unabhängig von den Wurzeln, der Herkunft, Religion. Dass wir also für die Herausforderungen in Deutschland, was die Integration betrifft, gemeinsam Verantwortung übernehmen und gute Lösungen finden.
Die Nationalmannschaft bleibt in diesem Bereich ein Vorbild?
Löw: Es ist schon wichtig, dass man sich immer wieder bewusst ist, respektvoll miteinander umzugehen. Darauf legen wir in der Nationalmannschaft wert und wollen Vorbild sein. Wir wollen weiterhin eine gute Visitenkarte für unser Land abgeben, nicht nur sportlich. Wir stehen für Teamgeist, Zusammenhalt, Fairness, Vielfalt, Toleranz, Offenheit und Freude am Erfolg.
Und die sportlichen Wünsche?
Löw: Sportlich gesehen ist wichtig, dass wir uns im nächsten Jahr, dem Jahr vor der WM, als Mannschaft weiterentwickeln, einen weiteren Schritt machen, vielleicht neue Spieler an das höchste Niveau heranführen und uns auf die großen Aufgaben, die vor uns liegen, gut vorbereiten.
Im Sommer gibt es beim Confederations Cup wieder mehrere Wochen Nationalmannschaft. Welche Vorteile und Risiken bringt das?
Löw: Ich sehe lieber die Vorteile, denn die gibt es. Die Nationalmannschaft ist noch mal über einen längeren Zeitraum zusammen. Ein Vorteil ist, dass man beim Confed Cup die Möglichkeit hat, junge Spieler besser zu integrieren als bei einzelnen Qualifikationsspielen. Was sicher wichtig sein wird mit Blick auf die WM. Für junge Spieler ist das eine gute Chance, sich auf dem Niveau zu präsentieren.
Und wo lauern die Gefahren?
Löw: Mein Gedanke ist immer, dass man die Spieler nicht überstrapaziert. Wir müssen behutsam und wohl überlegt vorgehen. Welche Spieler nominiert man und welche nicht? Es findet ja auch noch eine U21-EM statt. Drei Turniere in drei Jahren sind schon eine ganze Menge. Da fehlt in der Vorbereitung ein Teil, da fehlt in der Regeneration ein Teil. Das birgt immer auch Risiken, was die ohnehin schon sehr hohe Belastung angeht, gerade bei den Top-Spielern.
Hat sich der Confed Cup nicht überholt?
Löw: Ich bin da ein bisschen gespalten. Klar, soll man nicht alles überstrapazieren. Es gibt natürlich unterschiedliche Perspektiven. Aber für einige Spieler kann die Teilnahme an einem solchen Turnier wirklich eine gute Chance sein, sich zu präsentieren und sich an ein höheres internationales Niveau heranzuspielen. Wenn sie sich auf dem Level mit Chile messen, ist das gut. Das kann eine Weiterentwicklung bringen. Für hoch strapazierte Spieler mit sehr vielen Länderspielen, Meisterschafts- und Champions-League-Einsätzen, muss man sich die Belastung individuell anschauen. Es hat ein Für und Wider.
Worauf werden Sie 2017 das Hauptaugenmerk richten? In welchen Bereichen wollen sie sportlich schwerpunktmäßig ansetzen?
Löw: Schwerpunkt ist die WM-Qualifikation. Die Gruppe so zu dominieren, das durchzuziehen, wie wir es begonnen haben. Es geht darum, uns wieder als absolutes Topteam zu präsentieren, das heißt, wir wollen jedes Spiel dominieren, wir wollen unser Spiel gnadenlos durchziehen, wir wollen gewinnen. Zusätzlich wollen wir weitere Spieler auf ein nächstes Level heranführen, auf Weltklasseniveau. Da sind einige sehr talentiert, aber wenn wir von Weltklasse sprechen, dann ist das das Niveau eines Ronaldos, eines Messis. Das muss bei einem Team, das den WM-Titel verteidigen will, die Messlatte sein.
Zuletzt haben Sie schon weiter junge Spieler wie den Bremer Serge Gnabry, den Wolfsburger Yannik Gerhardt und den Leverkusener Benjamin Heinrichs getestet. Kommen 2017 noch weitere hinzu?
Löw: Die Tür zur Nationalmannschaft ist in dieser Phase generell natürlich offen, wir werden noch Gelegenheiten haben, Spieler zu testen. Es macht jetzt aber keinen Sinn, einzelne Namen zu nennen, die Jungs sollen sich in Ruhe und unbekümmert weiter entwickeln. Wir haben da aber den einen oder anderen im Blick, den wir gerne mal bei uns sehen möchten. Wer letztlich bei der A-Mannschaft spielt oder in der U21, hängt immer auch von der individuellen Situation des Spielers ab und dessen persönlichem Entwicklungsstand. Dem einen tut es gut, eine Führungsrolle in der U21 zu übernehmen. Ein anderer soll sich mal bei der A-Mannschaft zeigen. Darüber sprechen wir intensiv mit Hansi Flick, unserem Sportdirektor.
Die jungen Spieler sind in ihrer Entwicklung schon enorm weit. Woran liegt das?
Löw: Die jungen Spieler haben eine sehr gute Ausbildung in ihren Vereinen, da wird hervorragend gearbeitet. Man muss sich bei der Belastung immer die Frage stellen, wie lange man auf höchstem Niveau konstant Topleistungen abrufen kann. Früher konnte man mit 34, 35 Jahren noch auf hohem Niveau spielen. Heute ist das eher die Ausnahme, das Spiel ist extrem schnell, sehr athletisch geworden, die Anforderungen hoch, daher geht es um die richtige Belastungs-Steuerung.
Und Sie müssen den Alten sagen, dass ihre Zeit vorbei ist?
Löw: Das ist immer ein schwieriger Prozess, meistens aber finden die Spieler selbst für sich den richtigen Moment, wie Per Mertesacker, Miro Klose oder Philipp Lahm nach der WM in Brasilien. Wobei gerade Philipp in meinen Augen sicher bis 2018 hätte weiterspielen können. Seine Entscheidung aber stand fest, und das galt es zu respektieren. Für Bastian Schweinsteiger war es sicher ebenfalls der richtige Zeitpunkt nach der EM, auch wenn es weh tut. Das sind Spieler, die lange dabei waren, mit denen man gemeinsam viel erreicht hat, mit ihnen hat man eine enge Verbundenheit, sie sind wichtig in der Hierarchie, im gesamten Gefüge, nicht nur sportlich, sondern aufgrund ihrer Persönlichkeit. Das ist ein schweres Thema.
Die FIFA will eine WM mit bis zu 48 Startern, eine Club-WM mit 32. Die UEFA reformiert die Champions League. Wer kann das stoppen?
Löw: FIFA und UEFA sind in der Verantwortung, sie brauchen Augenmaß und müssen das richtige Verhältnis finden zwischen kommerziellen Interessen und der sportlichen Sicht. Wenn man es über Jahre betrachtet, bewegen sich gerade die Top-Spieler körperlich und mental am Limit. Man muss aufpassen, dass man das Rad nicht überdreht mit zu vielen Spielen, weil die Qualität darf nicht leiden. Dann würde sich auch der Fan abwenden und das Interesse nachlassen. Wenn man ein gutes Produkt hat, wie den Fußball, sollte man auch mal über Verknappung nachdenken, um die Qualität hoch zu halten.
Warum, der Rubel rollt doch?
Löw: Weil sonst auch der Zuschauer nach einem Boom das Interesse verlieren kann an einigen Spielen. Der sportliche Wert eines Wettbewerbs droht dann doch zu verwässern, wenn – wie bei der EM – drei von vier Mannschaften in der Vorrunde weiterkommen können. Oder eine Mannschaft mit drei Punkten. Diese Tendenz hat mir nicht gefallen. Das bedingt, dass viele Mannschaften ihre Taktik ändern und nicht mehr mit offenem Visier spielen. Das aber macht doch den Reiz aus. Es muss darum gehen, dass ich die Spiele auch schon in der Vorrunde gewinnen will, unbedingt.
Ist der Weltmeistertrainer jemals von den Verbänden gefragt worden?
Löw: Das würden wir Trainer uns sicher manchmal wünschen, dass unsere rein auf den sportlichen Bereich bezogene Perspektive einbezogen wird. Aber da stößt man an Barrieren. Es geht natürlich auch darum, dass Trainer bei Tagungen über sportliche Dinge gefragt werden. Über das Regelwerk, aber nicht über den Rahmenterminkalender. Den bestimmen andere.
Welches WM-Format wäre ihnen am liebsten, wenn es nicht bei 32 Startern bleibt? Was sagen Sie zum Elfmeterschießen in der Vorrunde?
Löw: Am Rande der Confed-Cup-Auslosung hatte ich Gelegenheit, auch mal mit dem einen oder anderen FIFA-Offiziellen zu sprechen. Die Pläne sind noch nicht ausgereift. Ich halte es für absolut ausgewogen, wenn 32 Mannschaften an der WM teilnehmen. Ein Gedanke, den man hört, könnte wohl sein, dass es eine Art Vorqualifikation geben wird. Aber auch mit unserem DFB-Präsidenten Reinhard Grindel bin ich mir einig, dass die Turnierdauer und die Anzahl der Spiele nicht ausgeweitet werden dürfen. Mehr verträgt es nicht. Die Vereine haben auch Anspruch auf ihre Spieler.
Müssen sie sich nicht auch selber schonen, auch für Sie ist es wieder ein intensiver Turniersommer?
Löw: Ich freue mich immer wieder auf Turniere, das sind die Wettkämpfe auf höchstem Niveau, die ich liebe. Wenn es darum geht, sich mit den besten Mannschaften der Welt zu messen. Ich schalte gerne in den Turniermodus. Zwischen den Turnieren nutze ich gerne die Zeit für Spielbeobachtungen im In- und Ausland, das bringt mich persönlich weiter, inspiriert mich. Wir arbeiten sehr strategisch und konzeptionell, haben immer einen Blick auf die aktuelle Entwicklung im Weltfußball. Gerade das ist ja auch eine wichtige Aufgabe von Hansi Flick und Oliver Bierhoff im Rahmen der Akademie.
Sind Sie abergläubisch? Noch nie ist ein Confed-Cup-Sieger im Jahr danach Weltmeister geworden.
Löw: Sehen Sie, das wäre doch auch noch mal eine schöne Herausforderung… (lacht).
Das Gespräch führte Jens Mende (dpa)
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- Weihnachtsinterview: dpa