BERLIN – Angesichts der immer bedrohlicheren Corona-Welle mit Rekord-Infektionszahlen ringen Bund und Länder um schnelle zusätzliche Krisenmaßnahmen.
Zuerst beschloss am Donnerstag der Bundestag von SPD, Grünen und FDP vorgelegte Neuregelungen, die unter anderem den Nachweis einer Impfung, Genesung oder eines Tests (3G) am Arbeitsplatz, in Bussen und Bahnen verlangen. Die Umsetzung ist aber fraglich, da die Union unzureichende Möglichkeiten für die Länder anprangerte und mit Ablehnung im Bundesrat an diesem Freitag drohte. Danach nahmen sich Bund und Länder in einer Spitzenberatung flächendeckende Zugangsbeschränkungen im öffentlichen Leben für Ungeimpfte vor. Eine abschließende Einigung auf ein Beschlusspapier gab es am frühen Abend aber noch nicht.
Wo viele Corona-Patienten in die Krankenhäuser eingewiesen werden, sollen den Plänen zufolge nur noch Geimpfte oder Genesene (2G) Zutritt etwa zu Freizeit-, Kultur- und Sportveranstaltungen, Gastronomie sowie zu körpernahen Dienstleistungen und Beherbergungen haben. Die Maßnahmen könnten nach einem Zwischenstand der Verhandlungen greifen, wenn innerhalb von sieben Tagen 3 Corona-Patienten pro 100 000 Einwohner in die Klinik eingewiesen werden. Einige Bundesländer haben bereits unabhängig davon 2G-Regeln eingeführt.
Einheitliche Bewertungsstandards gesucht
Die Bund-Länder-Runde sucht nach möglichst bundeseinheitlichen Bewertungsstandards zur Anwendung schärferer Corona-Schutzmaßnahmen. Zur Debatte steht etwa, ob ein Schwellenwert für Covid-19-Patienten in Krankenhäusern definiert wird, jenseits dessen besondere Zugangsbeschränkungen im öffentlichen Leben verhängt werden sollten. Außerdem sollte etwa über einheitliche Vorgaben für Zugangsregeln nur für Geimpfte und Genesene (2G) oder noch mit extra Test (2G plus) gesprochen werden.
Dringendes Thema von Bund und Ländern war auch, bei den Impfungen Tempo zu machen. Die Länder forderten zudem eine Impfpflicht «einrichtungsbezogen» für Personal in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen und bei mobilen Pflegediensten, wenn Kontakt zu besonders gefährdeten Personen besteht. Die Länder baten den Bund, die Impfpflicht «schnellstmöglich umzusetzen». Selbst versprachen sie bessere Kontrollen etwa von Impf-, Genesenen- oder Testnachweisen.
Als akutes Instrument zum Eindämmen der Corona-Welle gelten vor allem Auffrischungen länger zurückliegender Impfungen. Nach Teilnehmerangaben nannte Merkel bei den Beratungen als Ziel ein zeitnahes Angebot für 27 Millionen Impfungen. Auch die BILD berichtete darüber. Dafür sollen neben den Praxen mehr öffentliche Angebote eingerichtet werden. Bisher haben 4,8 Millionen Menschen Auffrischungen bekommen.
Booster jetzt für alle
Die Impfkommission weitete nach wochenlangen Diskussionen ihre bisher eng gefasste Empfehlung massiv aus. Ab sofort empfehle sie «allen Personen ab 18 Jahren die Covid-19-Auffrischimpfung», teilte die Stiko mit. Auch ein flexiblerer Umgang mit dem Zeitabstand ist vorgesehen: In der Regel soll sechs Monate nach der letzten Dosis nachgeimpft werden – eine Verkürzung auf fünf Monate sei im Einzelfall und bei genug Kapazitäten aber zu erwägen.
Experten warnen bereits seit Wochen, dass sich die Corona-Ausbreitung rasant beschleunigt. «Wir laufen momentan in eine ernste Notlage. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern», sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Mittwochabend. Bundesweit überschritten die an einem Tag gemeldeten Neuinfektionen laut RKI nun erstmals die Marke von 65.000. Die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen stieg auf den Höchststand von 336,9. In Sachsen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz über 760, in Bayern über 600.
Scharfer Schlagabtausch
Im Bundestag gab es einen scharfen Schlagabtausch über die Pläne von SPD, Grünen und FDP. Die voraussichtlichen Regierungspartner wollen zum einen Zugangsregeln nur für Geimpfte, Genesene und Getestete (3G) am Arbeitsplatz und in Verkehrsmitteln. Für Pflegeheime und Kliniken sollen Testpflichten für Beschäftigte und Besucher verankert werden. Auf der anderen Seite aber sollen etwa Schul- oder Geschäftsschließungen künftig nicht mehr möglich sind.
Außerdem wollen sie eine andere Rechtsgrundlage für Corona-Auflagen schaffen. Die «Epidemische Lage von nationaler Tragweite» soll am 25. November auslaufen. Dieser Ausnahmezustand gibt den Landesregierungen bisher die Möglichkeit, auf einfachem Verordnungsweg weitreichende Schritte zu ergreifen. Künftig sollen die Landesparlamente zwar über Beschränkungen im Freizeit-, Kultur- oder Sportbereich entscheiden – Ausgangsbeschränkungen, pauschale Geschäfts- oder Schulschließungen sowie Reiseverbote sollen aber nicht mehr möglich sein. Falls Länder jetzt noch solche Maßnahmen anordnen, könnten sie bis 15. Dezember in Kraft bleiben.
Mehr Möglichkeiten für die Länder
Die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar sagte: «Wir reagieren mit notwendigen und rechtssicheren Maßnahmen auf die sehr schwierige Corona-Lage.» Die Länder bekämen mehr Handlungsmöglichkeiten als mit geltender Rechtslage. Dazu gehöre auch weiterhin, dass Gesundheitsämter bei Ausbrüchen einzelne Schließungen anordnen könnten.
Unionsfraktionsvize Stephan Stracke (CSU) dagegen monierte, die Ampel-Pläne würden der Dramatik der Lage nicht gerecht. Der Maßnahmenkatalog werde mit Auslaufen der epidemischen Lage verkürzt. Die unionsregierten Länder haben bereits mit einer Ablehnung am Freitag im Bundesrat gedroht. Dann könnte allenfalls noch der Vermittlungsausschuss angerufen werden, um vor Auslaufen der Epidemischen Lage am kommenden Donnerstag zu einem Kompromiss zu kommen. Kritik an den Ampel-Plänen kam auch von AfD und Linken.
Bildquelle:
- Bundestag: dpa