Bahnkrampf nach Nürnberg mit dem 9-Euro-Ticket

dpatopbilder - Das 9-Euro-Ticket ist heiß begehrt. Aber nicht vergnügungssteuerpflichtig. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

von JULIAN MARIUS PLUTZ

NÜRNBERG – Eigentlich hat Dirk Maxeiner (AchGut) mit seiner wahren Geschichte „Zuglauf nach Oschatz“ dem Genre „alternatives Reisen“ in Zeiten des 9-Euro-Irrsinns die Krone aufgesetzt. Doch ich kann es toppen, so wahr mir Gott helfe. Auch ich schwöre. Die nachfolgende Geschichte ist genau so passiert. Sie können mich gerne vereidigen.

Kennen Sie die „große Kreisstadt Kitzingen?“ in Unterfranken? Wenn nicht, gar nicht schlimm, gibt es doch in „Kitzi“, für die kreuzdebilen „Kitzich“ ausgesprochen, de facto kaum etwas, was sehenswert ist, vom Falterturm einmal abgesehen, der vom Neigungswinkel an die Hochbaut einer italienischen Metropole erinnert. Doch das war‘s dann auch schon, außer man findet eine Autobahnauffahrt sei eine Sehenswürdigkeit.

Großartig ausgestatteter Bahnhof

Wie es sich für eine „große Kreisstadt“ gehört, gibt es auch einen Bahnhof mit ganzen zwei aktiven Gleisen. Da wäre einmal die Fahrt von Würzburg nach Nürnberg und, für die, die es wissen wollen, die Fahrt von Nürnberg nach Würzburg. In Kitzingen beginnt die Reiselust zu sprießen, hat man doch die Wahl aus zwei fränkischen Großstädten. Wahlweise könnte man auch in Dettelbach, Rottendorf, Markt Bibart und der Dörfer mehr Halt machen und sich den sprichwörtlichen Ast abfreuen.

Aber ich will ja nach Nürnberg. Angekommen am Bahnhof der großen Kreisstadt merke ich, dass ich nichts zu trinken dabei habe. Dafür ist eine Horde Jugendlicher um so besser ausgestattet, die um einen Bierkasten tehen und sich gegenseitig anprosten. „L’Chaim, ihr Globetrotter“, dachte ich mir und schaute auf die Uhr. Es war kurz vor 12 Uhr Mittags.

Man muss dazu sagen, dass der Bahnhof der großen Kreisstadt Kitzingen ungefähr so ausgestattet ist, wie ein „Ibis Budget“ Hotel, also gar nicht. Es gibt dort nichts. Keinen Bäcker, keine Bahnhofsabsteige, nicht einmal einen Getränkeautomaten. Dafür Toiletten, die entsprechend für die dominierende Duftnote im Innenraum sorgen.

Das nächste Mal nutze ich das Pferd

Das Gleis war gut gefüllt, als eine Durchsage den kommenden Wahnsinn ankündigte. Man solle doch „alternative Reisemöglichkeiten nutzen“, da der Zug voll sein werden werde. Immerhin eine gute Nachricht hatte die Dame von der Deutschen Bahn zu präsentieren: „Fahrradmitnahme ist leider nicht möglich“. Es gibt kaum etwas nervigeres, als eine Gruppe von Drahteselliebhabern in Tour de France-Montur, die den Zug verstopfen.

Nachdem der Zug nach Würzburg gerammelt voll war, rollte meine Regionalbahn nach lediglich 25 Minuten Verspätung an. In ganzen drei Waggons quetschten sich gefühlt rund 8000 Menschen in die Abteile, die gut und gerne das Weinfest der „großen Kreisstadt“ befüllen könnten, wäre das Event nicht bereits vergangene Woche gewesen.

Ich kam nicht rein. Keine Chance. So wie die Türen öffneten, ragten einzelne Körperteile, wahlweise maskierte Köpfe nach draußen, um ein wenig CO2 zu erhaschen. Erneut erklang die Empfehlung, alternative Reisemöglichkeiten zu nutzen. Welche denn? 100 Kilometer zu Fuß, wahlweise für 500 Euro mit dem Taxi? Droschke?! Das nächste Mal nutze ich das Pferd. Die Türen schlossen, nachdem die Extremitäten der Passagiere wieder im Zug verstaut waren.

Erst einmal in die verkehrte Richtung

Ratlos ließ mich die Eisenbahn zurück. Was nun? Und wenn ich Ihnen noch sage, dass fünf Minuten, bevor mich mein Vater zum Bahnhof der „großen Kreisstadt“ fuhr, meine Jeans im Schritt gerissen ist und ich mangels Zeit, die ich jetzt mehr als genug habe, eine grüne Badehose anzog, dazu ein Hemd mit bunten Fahrrädern und darüber ein graues Jackett, können Sie sich ungefähr vorstellen, wie sich meine Laune entwickelte.

Der nächste Zug, übrigens egal in welche Richtung, fuhr in einer Stunde ab. Ich wartete. Und begann, diese Zeilen zu schreiben. Nürnberg, werde ich dich jemals wieder sehen? Irgendwann kam der Zug nach Würzburg. Sechs Waggons, freie Sitzplätze. Freie Sitzplätze?! Euphorisch stieg ich ein und setzte mich. Zwar fuhr ich nun in die gänzlich falsche Richtung, aber was soll’s? Ich sitze! Und außerdem bin ich im Besitz eines 9-Euro-Tickets.

Im Zug überdachte ich meine Reise. Ich würde in Würzburg aussteigen, mir Getränke und essen holen und dann in den Zug nach Nürnberg steigen, der zu Beginn der Fahrt leer sein dürfte.  Gesagt – Getan. Ich hatte 40 Minuten Zeit, bis der Zug abfuhr. Als ich mich mit Proviant ausgestattet hatte und zu meinem Gleis lief, merkte ich, dass ich mit dem gleichen Zug, mit dem ich nach Würzburg gefahren war, auch wieder, bzw. überhaupt nach Nürnberg reisen würde.

Zwangspendeln für Volker Wissing

In den zehn Minuten, in dem sich der Zug leerte und ich Wasser und ein belegtes Brötchen erwarb, füllte sich der gleiche Zug bereits zur Hälfte, obwohl noch rund 30 Minuten Zeit bis zur Abfahrt war. Anscheinend nutzt auch der letzte Fridolin das 9-Euro-Ticket.

14:15 Uhr, mit kaum mehr als einer Viertelstunde Verspätung machte der Zug in der „großen Kreisstadt Kitzingen“ halt. Vor zwei Stunden stand ich da schon einmal. Nun saß ich jedoch im Zug in Richtung Nürnberg. Was für eine traumhaft schöne Geschichte.

Falls ich irgendwann Verkehrsminister (besser: Verkehrschaosminister) Volker Wissing zu Gesicht bekomme, zwinge ich ihn, eine ganze Woche im Stundentakt zwischen der großen Kreisstadt Kitzingen und Würzburg, wahlweise Nürnberg, zu pendeln. Nur mit Wasser und Brot. Obwohl ich eigentlich gegen Foltermethoden bin, sollte der FDP-Politiker – Bitteschön! –  die Medizin schlucken, die er uns allen verabreicht hat.

Bildquelle:

  • 9-Euro-Ticket: dpa

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.