ANALYSE: Was steckte hinter dem peinlichen Possenspiel im US-Repräsentantenhaus?

Am Ende einer langen Woche: Kevin McCarthy bei seiner Vereidigung als Sprecher des Repräsentantenhauses im Kapitol. Foto: Andrew Harnik/AP/dpa

von DR. STEFAN GEHROLD (USA)

WASHINGTON – Es war absehbar und dann doch dramatisch: Die Republikaner haben nach den Midterms wieder eine dünne Mehrheit im Repräsentantenhaus. Damit steht ihnen der „speaker of the house” zu, also den Parlamentspräsidenten zu stellen.

Ein Vorgang, der in Deutschland normalerweise kaum Aufsehen erregt. Obwohl rechtlich Kampfkandidaturen zulässig sind, ist dies in der bundesdeutschen Geschichte ein einziges Mal in den 50ern vorgekommen. Üblicherweise benennt die stärkste Fraktion einen Kandidaten, der dann ohne Konkurrenz “durchgewunken” wird. Regelmäßig erhält dieser dann auch deutlich mehr Stimmen als erforderlich; und das über Partei- und Koalitionsgrenzen hinweg. Die derzeitige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas etwa wurde mit 576 von 724 Stimmen gewählt.

Andere Länder, andere Sitten

In den USA aber ist so ein Amt durchaus umstritten, insbesondere, wenn die Mehrheiten knapp sind – wie im aktuellen Repräsentantenhaus.

Die bisherige demokratische Präsidenten des Hauses, Nancy Pelosi, hatte nach der Niederlage der Demokraten bei den Wahlen im November angekündigt, sie werde nicht mehr kandidieren. Ihr Mandat war über die Parteigrenzen hinweg umstritten. Sie galt als Trump-Hasserin. Ihre Sitzungsleitung war offen parteiergreifend und durchgehend von dem Willen getragen, die Opposition zu marginalisieren.
Weltweites Aufsehen erregte sie, als sie während des letzten Auftritts des scheidenden Präsidenten im “Haus” dessen Redemanuskript demonstrativ zerriss. Dies empfanden selbst liberale Kommentatoren als ihres Amtes unwürdig. Danach war Pelosi bei Republikanern im ganzen Land regelrecht verhasst.

Die Demokraten gingen daher bei der Abstimmung am 9. Januar mit Hakeem Jeffries ins Rennen. Die Republikaner nominierten ihren bisherigen Fraktionsvorsitzenden Kevin McCarthy. Nachdem 19 Republikaner McCarthy die Gefolgschaft im ersten Wahlgang verweigerten und teilweise den ebenfalls kandidierenden Andy Biggs aus Arizona wählten, die Demokraten aber geschlossen für Jeffries stimmten, war ein neuer Wahlgang erforderlich.

Im zweiten Wahlgang schlug der Abgeordnete Matt Gaetz Jim Jordan aus Ohio als dritten Kandidaten vor, der dann die 19 Stimmen der republikanischen Abweichler erhielt. Weitere Wahlgänge wurden erforderlich. Um die Verwirrung zu komplettieren, kandidierte ab dem vierten Wahlgang der Republikaner Byron Donalds aus Florida für das Amt. Die Stimmen der Abweichler wechselten zwischen Donalds und Jordan über die Wahlgänge 4 bis 13. Allein, die nötigen 50 Prozent der abgegebenen Stimmen für irgendeinen Kandidaten wurden nicht erreicht.

McCarthy und seine Unterstützer versuchten, in Einzelgesprächen mit den Renegaten diese auf seine Seite zu ziehen und machten eine Reihe von Zugeständnissen. Insbesondere ging es dabei um Positionen in Ausschüssen und die Einschränkung der Befugnisse des “Sprechers“.

Bis zum Schluss konnten der Anwalt Matt Gaetz aus Florida und die 36jährige Gastronomin Lauren Boebert aus Colorado nicht zur Zustimmung überredet werden.

Gaetz hatte zwischenzeitlich sogar Donald Trump als Sprecher vorgeschlagen, war jedoch dann der einzige, der für ihn stimmte. Beide gelten als Anhänger des ehemaligen Präsidenten. So weit, dass sie auf ihn hörten, ging die Gefolgschaft dann jedoch nicht. Denn Donald Trump hatte zwischenzeitlich mehrfach zur Unterstützung McCarthys aufgerufen.

Gaetz hatte in der Vergangheit unterschiedliche Positionen vertreten, und sich zeitweise für eine Stärkung der Rechte Homosexueller eingesetzt. Vor dem zweiten Wahlgang befand Gaetz während einer Wortmeldung: “Er (McCarthy) wird die nötigen Stimmen weder morgen, noch in der nächsten Woche, noch im nächsten Monat oder im nächsten Jahr erhalten.”

Dass es dann schlussendlich anders kam, war weder Boebert noch ihm zu verdanken. McCarthy selbst hatte versucht, versöhnlich mit den beiden während der Sitzung zu sprechen. Diese ließen ihn gnadenlos und öffentlich abblitzen. Der McCarthy nahestende Abgeordnete Mike Rogers musste festgehalten werden, als er drohend auf Gaetz zuging.

Im 15. Wahlgang dann stimmten alle Republikaner bis auf 6 für McCarthy. Diese stimmten mit “anwesend”, was einer Enthaltung gleichkommt. Die Stimmen werden nicht in die Zählung einbezogen. Damit waren die nötigen 50 Prozent der Stimmen erreicht.

Was aber sollte das peinliche Polit-Theater vor den Augen der ganzen Welt?

Die Abweichler sind im Wesentlichen Vertreter des konservativ-nationalen Flügels, aber nicht ausschließlich. McCarthy hatte sich während seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender nicht nur Freunde gemacht. Der Abgeordnete Eli Crane aus Arizona konnte in einem Interview mit One America News nicht einmal erklären, was ihn eigentlich zur faktischen Ablehnung McCarthys über 15 Wahlgänge bewogen hat.

Wenig überraschend: Hakeem Jeffries lobte die Einheit seiner demokratischen Fraktion und sprach den Republikanern die Eignung zum Regieren ab. Republikanische Kommentatoren hingegen werteten die Abstimmung als Zeichen für die Pluralität der Fraktion und die durchgängige Zustimmung der Demokraten für Jeffries als Nachweis für eine stalinistisch organisierte Fraktion und dafür, dass die Demokraten nur eines eint: der pathologische Hass auf die Republikaner.

Wer ist Kevin McCarthy?

Der 57jährige Kalifornier entstammt einem demokratischen Elternhaus und ist Betriebswirt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er gilt als gemäßigt konservativ. Dem Kongress gehört er seit 2006 an. Vorher war er Abgeordneter in Kalifornien und Mitarbeiter des Abgeordneten Bill Thomas seit 1987.

Ursprünglich galt er als dem ehemaligen Präsidenten Trump nahestehend. Im Nachgang zu der Besetzung des Kapitols am 6. Januar 2020 warf er ihm allerdings vor, zu spät eingegriffen zu haben. Auch hatte sich McCarthy verschiedentlich vor die erklärte Trumpgegnerin und Tochter des langjährigen amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney, die Abgeordnete Liz Cheney, gestellt. Dennoch versuchte gerade Trump die Wogen zu glätten und den Weg für die Wahl McCarthys zu ebnen.

McCarthy äußerte in einer ersten Stellungnahme ironisch, man könnte ihm sicher nicht fehlende Beharrlichkeit vorwerfen. Außerdem dankte er explizit dem ehemaligen Präsidenten für dessen Unterstützung.

Ob nun die Republikaner zum Regieren unfähig sind, wie der Abgeordnete Dan Goldman eilfertig auf dem demokratischen Sender MSNBC kommentierte, wird die Zukunft zeigen. McCarthy selbst wird als Parlamentspräsident nur eingeschränkt damit zu tun haben. Die Fraktionsführung gab er an Steve Scalise ab.

Dass die politische Auseinandersetzung in den USA mit großer Härte geführt wird, zeigt dessen Vita. Im Jahr 2017 schoss ihn ein linker Terrorist an, dessen Ziel die Ermordung republikanischer Politiker war….

Bildquelle:

  • Kevin McCarthy: dpa

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.