«Es kann passieren, dass nach den Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 kein Gas mehr fließt», sagte FDP-Fraktionschef Dürr. Der russische Präsident Wladimir Putin mache, was er wolle. Es wäre kaum verwunderlich, wenn er technische Gründe vorschieben sollte, um den Gashahn endgültig abzudrehen. «Wir wollen nicht den Teufel an die Wand malen», sagte Dürr. «Aber wir müssen uns auf ein Szenario einstellen, das weitreichende Konsequenzen für private Haushalte und die deutsche Industrie haben könnte. Kein Kubikmeter Gas sollte mehr verstromt werden müssen. Deswegen wäre es jetzt richtig, die Laufzeiten der Kernkraftwerke über den Winter hinaus zu verlängern.»
SPD-Chefin Saskia Esken nannte längere Laufzeiten für Atomkraftwerke aus energie-, wirtschafts- und
sicherheitspolitischer Sicht «komplett unsinnig». Diese Kraftwerke lieferten Strom und keine Wärme, sagte Esken der «Süddeutschen Zeitung» (Mittwoch). Um Gaskraftwerke zu ersetzen, gebe es «flexiblere und sichere Alternativen». «Atomkraft ist unwirtschaftlich, hoch gefährlich und hat keine Zukunft», fügte die SPD-Vorsitzende hinzu.
Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge lehnte die Forderung der FDP ab. «Die Debatte um die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken ist eine Scheindebatte», sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. «Denn natürlich wissen auch die Befürworter der Atomenergie, dass die drei verbliebenen AKWs keinen nennenswerten Beitrag zur Sicherung der Gasversorgung leisten können.» Hinzu kämen Sicherheitsrisiken und das Fehlen von Brennstäben. Dröge warf der Union vor, von eigenen Fehlern wie der einseitigen Abhängigkeit von russischem Gas ablenken zu wollen. «Das, was jetzt wirklich hilft, sind Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs und für mehr Energieeffizienz. Dafür braucht es einen gemeinsamen Kraftakt.»
Die drei Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 müssen nach geltendem Recht spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) hatten in einem Prüfvermerk im März von längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke abgeraten. Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen, hieß es damals.
Verlängerung wohl keine Auswirkung auf kommenden Winter
Eine Verlängerung der Laufzeiten der noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke würde im kommenden Winter keine zusätzlichen Strommengen bringen, hieß es – sondern frühestens ab Herbst 2023 nach erneuter Befüllung mit neu hergestellten Brennstäben. Die drei Atomkraftwerke stellen rund 5 Prozent der deutschen Stromproduktion dar. Auch die drei Betreiber der Anlagen haben Laufzeitverlängerungen eine Absage erteilt.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz appellierte jedoch an die Grünen, einer weiteren Nutzung der Atomkraft in Deutschland zuzustimmen. «Liebe Grüne, springt über Euren Schatten. Keine Denkverbote. Tut es für Deutschland», schrieb Merz in einem Beitrag für die «Bild»-Zeitung. Angesichts der Energiekrise «sollten wir uns nicht die Möglichkeit nehmen, unsere Kraftwerke weiter laufen zu lassen, um damit Gas bei der Stromerzeugung einzusparen». Auch die Union wolle ein «baldiges Ende der alten Atomkraft» – aber nicht jetzt.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der «Bild»-Zeitung: «Putin stellt Deutschland das Gas ab und die Grünen uns die Atomkraft. Das provoziert doch geradezu den Blackout im Winter.»
Bildquelle:
- Isar 2: dpa