Liebe Leserinnen und Leser,
völlig unbemerkt und ganz weit unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland und ganz Europa finden am kommenden Sonntag in Brasilien Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Amtsinhaber ist der Konservative Jair Bolsonaro, der 2018 aus einer Außenseiterposition nicht nur in die entscheidende Stichwahl kam, sondern der den sozialistischen Gegenkandidaten Fernando Haddad mit 55 gegen 45 Prozent der Stimmen geradezu hinwegfegte.
Bolsonaro – und das sage ich mit Sympathie – ist ein Populist, ein Konservativer, meinetwegen auch ein Rechter. Und er ist populär im Volk, ein begeisterter Motorradfahrer, der immer wieder Biker-Rallyes mit 10.000, auch 20.000, Fahrern auf ihren Maschinen, brasilianische Fahnen schwenkend, anführt. Motorradhelm auf dem Kopf und sichtlich guter Laune. Die Wahl 2018 hat er mit den Themen Sicherheit und Ordnung, der Bekämpfung der Korruption und die Belebung der Wirtschaft bestritten und gewonnen.
Bevor er in die Politik einstieg, diente Bolso, wie in seine Freunde nennen, im Militär, erst bei der Artillerie, dann bei einer Luftlandebrigade.
Selbst römisch-katholischer Christ und regelmäßiger Kirchgänger, aber verheiratet mit der wunderbaren und populären Ehefrau Michele, einer Baptistin, hat sich die Familie immer mehr den evangelikalen Freikirchen zugewandt, die auch als großes Unterstützerpotential für den Präsidenten gelten. Ähnlich wie die frischgebackene italienische Wahlsiegerin Giorgia Meloni hat Bolsonaro eine klar ablehnende Haltung gegen gleichgeschlechtlichen „Ehen“ und Abtreibungen. Der christliche Einfluss auf seine Politik war in den vergangenen vier Jahren jederzeit spürbar.
In den linksliberalen Feuilletons der USA und Europas genießt der brasilianische Präsident, der sich einen Dauerzwist mit dem Verfassungsgericht leistet, ähnliche Wertschätzung wie einst Donald Trump, mit dem er sich während dessen Amtszeit bestens verstand. Nämlich keine. Es sind diese Mainstream-Schreiber und Fernsehleute, von denen ich annehme, dass sie wirklich nicht verstehen, warum die Menschen in Polen, Ungarn, Schweden, Italien und auch Brasilien so wählen, wie sie wählten. Aber sie wählen so, und deshalb schenken wir diesen Menschen und der Wahl in Brasilien am kommenden Sonntag große Aufmerksamkeit.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Klaus Kelle