Am 2. August 1964 führte der „Tonkin-Zwischenfall“ zum Kriegseintritt der USA in Vietnam

Ein südchinesisches Schnellboot, das angeblich am Zwischenfall von Tonkin beteiligt war.

von MARC KNIFFKA

„Ho ho Ho Chi Minh“ – in den 1960er Jahren der Schlachtruf an den Universitäten und auf Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, verlogene Politik und überhaupt gegen das Establishment, fand vor nunmehr 60 Jahren seinen Anfang. Der Zweite Weltkrieg war gerade einmal 15 Jahre vorbei und die Welt veränderte sich. Besonders junge Menschen und Studenten wollten nicht mehr die Bevormundung durch den Staat und die Mächtigen der Welt widerstandslos hinnehmen und wehrten sich lautstark gegen eine Politik, die jederzeit in einen Atomkrieg hätte führen können. Auslöser war das Ringen zwischen Nord- und Südvietnam, arm gegen reich und vor allem der Kalte Krieg Ost gegen West.

Als 1961 John F. Kennedy ins Weiße Haus einzog, gärte es in Südostasien mächtig. Seit einigen Jahren herrschte in Vietnam ein erbarmungsloser Bürgerkrieg und die westliche Marionettenregierung unter Ngo Dinh Diem schien das Ringen um die Macht zu verlieren. Strategisch durfte aus amerikanischer und alliierter Sicht Vietnam keinesfalls verloren gehen, denn gemäß der Domino-Theorie ging man davon aus, dass sobald ein Land in kommunistische Hände fiel, benachbarte Länder binnen kurzer Zeit ebenfalls dem Kommunismus ausgeliefert wären. Der ganze südostasiatische Raum war in Gefahr verloren zu gehen und so führte Vietnam unweigerlich in eine Eskalation der militärischen Konfrontation.

Gemäß der Counterinsurgency-Strategie wurden militärische Berater nach Südvietnam entsandt und bereits 1962 flog die US Air Force 50.000 Luftangriffe gegen Ziele der Vietcong. Die Spirale der Gewalt und Intervention drehte von nun an immer schneller und 1964 waren die USA schließlich bereit, aktiv in den Krieg in Vietnam einzutreten, da eine bloße Bekämpfung durch „Hilfseinsätze“ gegen nordvietnamesischer Freischäler und den Vietcong in der Republik Südvietnam nicht zum erwünschten Erfolg führte. Eine offener Eintritt in den Krieg war allerdings ein politischer Balanceakt, denn kurz nach der Kuba-Krise 1962 war die Gefahr eines offenen Ost-West-Konflikts keineswegs gebannt – ein falscher Schritt und ein Dritter Weltkrieg wäre entbrannt. Sowohl Rot-China als auch die UDSSR schauten mit Argusaugen auf Vietnam rund um den 17.Breitengrad und waren jederzeit bereit, ihrem Verbündeten Ho Chi Minh zur Seite zu stehen.

Ob es nun ein Zufall war, Fehlverhalten oder eine gezielte taktische Provokation lässt sich auch heute fast 60 Jahre später immer noch nicht eindeutig belegen. Ein angeblicher Zwischenfall im Golf von Tonkin gab den USA und ihren Verbündeten den Anlass, aktiv an der Seite der Südvietnamesen in den Krieg einzutreten. Doch was war passiert?

Am 2.August 1964 befand sich der Zerstörer USS Maddox im Golf von Tonkin auf Erkundungsfahrt, als drei Schnellboote Nordvietnams versuchten, die gefechtsbereite USS „Maddox“ auf Abstand von der nordvietnamesischen Küste zu halten. Herbeigerufene Kampfjets des zufällig in der Nähe liegenden Flugzeugträgers USS „Ticonderoga“ griffen daraufhin die Schnellboote an und schossen eins manövrierunfähig. Im Zuge dieser Kampfhandlung sollen seitens der Nordvietnamesen Torpedos auf die Maddox abgefeuert worden sein. US Präsident Lyndon B. Johnson lehnte an diesem Tag noch ausdrücklich eine Vergeltung gegen Nordvietnam ab, während es schon zwei Tage später zur endgültigen Eskalation kam.

Während bereits am 3.August Ziele auf dem Festland angegriffen wurden, soll es am 4.August weitere Torpedoschüsse auf die Maddox gegeben haben. In den Memoiren des damaligen Verteidigungsminister der USA Robert McNamara heißt es, dass es keine exakten Informationen aus dem Krisengebiet gegeben hat, sondern dass man sich lediglich auf eine „Einschätzung“ des Admirals Sharp, Kommandeur der Einsatzgruppe Pazifik, verließ, der die Vermutung äußerte, dass ein Beschuss von nordvietnamesischer Seite stattgefunden habe. Später wurde historisch bewiesen, dass es keinerlei Angriffe seitens der Nordvietnamesen gab.

Lyndon B. Johnson nahm jedoch diesen zweiten Vorfall zum Anlass, dass unmittelbar darauf nordvietnamesische Marinestützpunkte von Trägerflugzeugen angegriffen wurden. Allerdings erst nachdem Präsident Johnson in einer Fernsehansprache die Angriffe angekündigt hatte, und er sich in seiner Rede „auf das Recht der Verteidigung gegen unprovozierte nordvietnamesische Angriffe“ berief. Der Krieg entbrannte von nun an in seiner schlimmsten Form. Millionen Tonnen Bomben fielen auf nordvietnamesische Städte und Dörfer und Armeen bekämpften sich sogar in den angrenzenden Nachbarstaaten.

1971 deckten schließlich die New York Times und die Washington Post anhand der sogenannten „Pentagon-Papiere“ auf, dass die US-Regierung und Johnson sowohl die Öffentlichkeit als auch den US Kongress systematisch über Jahre durch falsche Informationen über den Vietnamkrieg belogen haben. Daniel Ellsberg, ein hochrangiger Mitarbeiter des Verteidigungsministerium hatte ein 7000-seitiges Dokument den beiden Zeitungen zugespielt, aus dem hervorging, dass die USA bereits Kriegsvorbereitungen getroffen hatten, als Präsident Johnson noch behauptete, nicht in Vietnam intervenieren zu wollen. Außerdem enthüllten die Papiere, dass der Vietnamkrieg trotz stetig steigender Opferzahlen auf US-amerikanischer Seite weitergeführt werden sollte in der Absicht, dass der militärische Feind sich ausbluten lassen sollte.

Auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges standen letztlich mehr als eine halbe Millionen US Soldaten im Kampf gegen den kommunistischen Vietcong und Nordvietnam im Feld, wovon annähernd 60.000 ihre Heimat niemals wiedersehen sollten. Bis zu fünf Millionen Vietnamesen verloren ihr Leben in einem Krieg, der um Macht, Taktik und Einfluss geführt wurde und letztendlich nicht dazu führte, was die Strategen im Pentagon und in Washington erwartet haben – dem Fall von ganz Südostasien. Vietnam wurde nach dem Ende des Krieges ein wiedervereinigtes Land, dass noch Jahrzehnte unter den Schrecken des Krieges leiden musste. Die Gesellschaft war entzweit, ganze Landstriche waren durch den kampfstoff „Agent Orange“ vernichtet, Millionen Landmienen lagen verstreut auf Feldern und die Wirtschaft war am Boden zerstört. Erst langsam erholte sich das kleine Vietnam von dem großen Krieg, und auch in den USA wirkte der Konflikt als langanhaltendes Trauma nach. Neben all dem Elend hat der Vietnamkrieg gezeigt, wie schmutzig Krieg ist, und vor allem wie verlogen Politiker sein können.

Bildquelle:

  • Schnellboot_Südvietnam_Tonkin: TheGermanZ

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren