Aktuelle Fotos aus Moskau aufgetaucht: Ist das der Beweis, dass der deutsche Ex-Manager Karl-Erivan Haub noch lebt?

Zermatt im Südschweizer Kanton Wallis am Fuße des Matterhorns: Hier begann im April 2018 ein atemberaubender Agententhriller.

Der frühere Chef des Handelskonzerns Tengelmann, Karl-Erivan Haub, lebt. Davon ist die RTL-Journalistin Liv von Boetticher nach jahrelangen Recherchen überzeugt.

Haub verschwand am 7. April 2018 bei einer Skitour in den Walliser Alpen. Fotos einer Überwachungskamera zeigen ihn an diesem Tag zuletzt am Klein-Matterhorn in Zermatt. Eine Leiche aber wurde nie gefunden. Im Mai 2021 erklärte das Amtsgericht Köln Haub offiziell für tot.

Nun veröffentlicht das „Manager-Magazin“ Fotos, die den Verschwundenen im Februar 2021 in Moskau zeigen sollen. Sollen – aber zwei unabhängige forensische Gutachter bezeichnen die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem Mann auf den Bildern, fotografiert von öffentlichen Überwachungskameras, zwischen 85 und 99 Prozent liegt.

Doch es gibt ein Problem. Bei solchen Fällen gibt es immer ein Problem. Bei den von der internationalen, nennen wir es, Sicherheitsfirma „Interfor“ beschafften Bildern fehlen die Rohdaten, das heißt, es ist nicht zweifelsfrei festzustellen, wann und wo die Aufnahmen entstanden sind.

Als Liv von Boetticher mit den Recherchen für eine Fernsehdoku und dann für ihr atemberaubendes Buch „Die Akte Tengelmann“ begann, ahnte sie nicht, auf was sie bei dem Thema alles noch stoßen würde.

Denn das Verschwinden von Karl-Erivan Haub ist alles andere als ein Vermisstenfall, viel mehr als die Suche nach einem verunglückten Manager.

Der einst mächtige Unternehmenschef dürfte eine zentrale Rolle bei Moskaus Strategie gespielt haben, entscheidenden Einfluss auf Unternehmen in wichtigen westlichen Staaten zu gewinnen.

In den Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) gibt es heute mehr als 30.000 Unternehmen mit russischer Beteiligung. 30.000! Ein gewaltiges Potential zur zerstörerischen Einflussnahme, wenn es zwischen der Russischen Föderation und Europa einmal zu einer direkten Konfrontation kommen sollte.

Eine zentrale Rolle beim Verschwinden Haubs…

…spielte – na, klar – eine Frau, bei der es sich um eine „Eventmanagerin“ aus St. Petersburg mit dem Namen Veronika Ermilova handeln soll. Die hatte Haub bereits zehn Jahre vor seinem Verschwinden kennengelernt, als sie ein Event für ihn organisierte. RTL-Journalistin von Boetticher fand heraus, dass Ermilova und der Tengelmann-Boss eine intensive Beziehung pflegten oder vielleicht noch heute pflegen. Aus Reiseunterlagen ließ sich rekonstruieren, dass sich beide immer wieder am selben Ort aufhielten auf Reisen, oft ohne aber offiziell zusammen gereist zu sein. Treffen fanden dann in Moskau oder auch mehrmals in Sotschi an der Schwarzmeerküste statt, wo auch Russlands Präsident Wladimir Putin eine üppige Residenz unterhält. Oft waren diese Reisen konspirativ, man hatte vorher telefoniert, den gleichen Nachtzug gebucht, aber Abteils in unterschiedlichen Wagen ausgewählt.

Ob Ermilova und Haub ein Liebespaar waren, ließ sich bis heute nicht sicher feststellen. Viele Hinweise sprechen zumindest dafür, dass sie eine Mitarbeiterin des russischen Geheimdienstes FSB war oder ist. Ob sie Haub als Agentenführer betreute ist bisher nicht zu belegen. Aber auch das liegt nahe.

Handyabrechnungen Haubs belegen, dass der deutsche Manager mit einer zweiten, amerikanischen, Staatsbürgerschaft, und besten Beziehungen ins Kanzleramt noch in der Nacht vor seinem Verschwinden mit der Russin zwei lange Telefonate führte, nachdem er mit seinem Privatjet in Zermatt gelandet war. Am Tag davor, telefonierten sie viermal miteinander. Liv von Boetticher fand heraus, dass sich die Auflistung der Anrufe von Haubs Handyabrechnungen in den letzten Monaten vor seinem „Verschwinden“ erheblich veränderten. Waren zuvor fast ausschließlich Gespräche mit deutschen oder europäischen oder amerikanischen Verbindungen registriert, so stellte sich heraus, dass Haub in den Wochen vor seinem Untertauchen fast nur noch mit verschiedenen russischen Telefonnummern kommunizierte.

Als Tengelmann-Konzernchef hatte Haub nach 2010 den Plan entwickelt, die hauseigene „Plus“-Supermarkkette auf den russischen Markt zu bringen und mindestens 150 Filialen in Putins Reich zu eröffnen. Sogar Grundstücke wurden dafür in Russland gekauft, fand das „Manager-Magazin“ heraus. Indes: Das Projekt floppte, nicht ein „Plus“-Markt wurde jemals in Russland eröffnet. Allerdings verschwanden beim „Plus“-Abenteuer offenbar viele Millionen Tengelmann-Euros in „dubiosen Kanälen“.

Dabei spielte die RoseVrobank des russischen Oligarchen Sergej Grischin eine wichtige Rolle

RoseVro war in den Jahren zwischen 2010 und 2014 direkt in einen großen Geldwäsche-Skandal, der später als der „russische Waschsalon“ (USA Today) bekannt wurde, verwickelt. Dabei wurden zwischen 22 und 80 Milliarden US-Dollar aus illegalen Geschäften der russischen Mafia von Mütterchen Russland aus über Moldau, Estland und Lettland nach Großbritannien und in andere Staaten transferiert, um das Geld irgendwann wieder sauber im normalen Wirtschaftskreislauf einsetzen zu können.

Grischin, der 1987 seine Unternehmerkarriere damit begann, dass er in seiner Moskauer Wohnung Kekse und Hot Dogs buk verkaufte, verstarb Anfang März 2023 völlig überraschend in einem Moskauer Krankenhaus an einer Gehirnblutung, wie es offiziell heißt. Davor hatte er öffentlich Kritik an Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine geübt.

Grischin ist damit einer von mindestens 67 russischen Oligarchen, Bankern, Managern und hohen Beamten, die seit dem Beginn des Ukrainekrieges unter seltsamen Umständen verstarben. Sie fielen entweder aus Fenstern, starben bei Autounfällen oder begingen angeblich Selbstmord.

Ob die wahre Geschichte von Karl-Erivan Haub jemals erzählt werden wird, ist fraglich. Allerdings gebührt der Kollegin Liv von Boetticher ein Pulitzer-Preis, denn ohne ihre hartnäckigen und hochprofessionellen Recherchen über Jahre hinweg würden wir heute alle noch denken, der Manager sei bei einem Skiunfall in den Alpen verstorben. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass es sich in einem Vorort-Garten von Moskau mit Jan Marsalek von Wirecard und anderen ehemaligen westlichen Wirtschaftsführern zum Barbecue trifft, wenn die Sonne herauskommt. Hoffentlich stürzt dann da niemand…

Bildquelle:

  • Zermatt: depositphotos/anshar

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.