SIEGEN – Die nordrhein-westfälische AfD hat an zwei Wochenenden hintereinander in Siegen ihre Landesliste für die Bundestagswahl aufgestellt. Erwartungsgemäß wurde der Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen (69) dabei zum Spitzenkandidaten gewählt. Allerdings musste er sich eines Gegenkandidaten erwehren, gewann aber knapp mit 264 gegen 230 Stimmen gegen Harald Weyel.
Rund 500 Delegierte waren in der Siegerlandhalle, wo ihnen feste Sitzplätze mit strengen Abstandsregeln zugewiesen wurden. Die Stadt Siegen hatte zuvor versucht, der AfD die Nutzung der Halle zu verweigern, scheiterte aber erwartungsgemäß vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster.
Die nordrhein-westfälische AfD gilt als ein bürgerlicher und gemäßigter Landesverband der Partei. Jahrelang dominierten hier graue Eminenzen aus dem Umfeld des früheren Vorsitzenden Marcus Pretzell und seiner heutigen Frau Frauke Petry die Partei, wenn es um Mandate und Vorstandsposten ging. Nach der Listenaufstellung in Siegen zeichnet sich nun auch für NRW ein Vormarsch rechtsgestrickter Kandidaten ab.
Dass es überhaupt einen Gegenkandidaten für Lucassen gab, der bereits Abgeordneter des Deutschen Bundestags ist, war schon bemerkenswert. Dass Weyel mit seiner Kandidatur aber 47 Prozent der Delegierten hinter sich versammelte, das kommt einer kleinen Sensation gleich.
Beobachter sehen Gründe in einer Reihe von Ausschlussverfahren in Lucassens Amtszeit und Gerichtsverfahren über angebliche Waffengeschäfte des Spitzenmannes. Auf Platz 2 der Liste setzte sich Kay Gottschalk durch, der in der Vergangenheit in die Kritik geraten war, weil er bei einer Neujahrsansprache in Krefeld vor zwei Jahren zum Boykott türkischer Geschäfte aufgerufen hatte.
Es folgt eine Reihe bisheriger Bundestagsabgeordneter, die wieder auf sicheren Plätzen platziert wurden: Fabian Jacobi, Martin Renner, Jörg Schneider und Michael Espendiller.
Die erste wirkliche Überraschung dann auf Platz 7 mit der Nominierung des jungen Matthias Helferich (33). Den wollte das bürgerliche Delegiertenlager unbedingt verhindern, weil er in der Vergangenheit unangenehm dadurch aufgefallen war, dass er sich stolz mit einer blauen Kornblume am Revers präsentierte, in Österreich von 1933 bis 1938 das Ersatzkennzeichen für die verbotene NSDAP. Im Jahr 2006 war Helferich in die Schlagzeilen geraten, nachdem die linksalternative taz berichtet hatte, Helferich habe den heutigen NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst, damals JU-Funktionär, als „Judenschwein“ bezeichnet und einem schwedischen Mädchen vorgeworfen, sie sei nicht „reinrassig arisch“.
Platz 8 nutze der Abgeordnete Roger Beckamp zum upgraden, um vom Landtag NRW in den Bundestag zu wechseln. Beckamp fiel in der aktuellen Legislatur im Landtag nur wenig auf, machte sich in Parteikreisen aber einen Namen durch selbstgedrehte Videos, die an den Klamauk von „Raab unterwegs“ des Kölner Entertainers erinnern. Platz 9 schließlich bekam der zu Beginn unterlegene Weyel, der mit Unterstützung aus dem angeblich gar nicht mehr existenten „Flügel“-Lager gewählt wurde.
Auf Platz 10 dann nochmal eine weitere Überraschung mit der Wahl des Russlanddeutschen Eugen Schmidt, der seit Jahren Reisen von AfD Abgeordneten nach Russland begleitet. Das ZDF-Magazin „Frontal 21“ berichtete über die Vernetzungen zwischen Russlanddeutschen, Putin-Fans und AfD in einem sehenswerten Beitrag.
Der zukünftige Abgeordnete Schmidt spielt in diesen Netzwerken eine wichtige Rolle. Während des Parteitages warf eine andere Kandidatin – Joanna Spitkovskaya – ihrem Parteifreund vor, ein „Lügner“ zu sein, der unter einer falschen Identität von Russland nach Deutschland gekommen sei.
Auf Platz 11 rangiert Jochen Haug, auch bisher schon im Bundestag.
Bemerkenswert noch: Der Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter aus Essen kam auf Platz 12 der Landesliste. Keuter geriet immer wieder in den öffentlichen Blick, etwa als er Nazi-Bildchen versendete oder einen Haftbefehl wegen einer nicht bezahlten Geldforderung bekam. Aus Sicherheitskreisen ist zu hören, dass er eine für einen deutschen Volksvertreter ungewöhnliche Nähe zu Russland pflegen soll. Darüber berichtete die Tageszeitung „Welt“, die schrieb, Keuters Russland-Nähe sei „besonders auffällig“.
Die Listenaufstellung der AfD in Nordrhein-Westfalen ist alles andere als ein überzeugendes Angebot für bürgerliche Wähler an Rhein und Ruhr. Bemerkenswert: Die ersten 13 Kandidaten der NRW-AfD für den Bundestag sind ausnahmslos Männer. Auf Platz 14 dann die erste Frau: Die Düsseldorfer Ratsfrau Uta Opelt.
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