von THOMAS PHILIPP REITER
ECHTERNACH/LUXEMBURG – Zwei Jahre lang fand die Echternacher Springprozession wegen der Pandemie-Maßnahmen nicht statt. Dabei war diese besondere Form der Verehrung des luxemburgischen Nationalheiligen Sankt Willibrord erst 2010 von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erhoben worden. Wie in den Jahrhunderten zuvor fand sie in diesem Jahr wieder statt, wie immer am Dienstag nach Pfingsten. Diese Zusammenkunft von gläubigen und traditionsbewussten Pilgern aus der Benelux-Region und der ganzen Welt hat ihren Reiz bewahrt: fast 7.000 Menschen versammelten sich in diesem Jahr wieder um das Grab in der Basilika und tanzten auf den Straßen.
Drei Schritte vor und zwei zurück: dies war die ursprünglich festgelegte Schrittfolge der Echternacher Springprozession. Sie ist damit im deutschen wie im französischen Sprachgebrach sogar sprichwörtlich geworden für einen Prozess, bei dem auch Rückschritte zu verzeichnen sind und dadurch nicht so recht in Gang kommt. Da es dabei früher zuweilen zu chaotischen Szenen gekommen war, hat man die Rückwärtsbewegung 1947 durch eine in Richtung seitwärts ersetzt. Die Ursprünge dieser tänzerischen Glaubenstradition liegen weitgehend im Dunkeln, begannen aber wohl schon kurz nach Willibrords Tod am 7. November 739. Vermutlich hatten sich Nervenkranke an der Prozession zu seinem Grab beteiligt. Deren Bewegungen wurden später als „Echternacher Krankheit“ bezeichnet. Es gibt aber auch andere Erklärungsversuche, die auf heidnische Bräuche der Selbstgeißelung zurückgehen.
Die älteste Quelle ist die über 1000 Jahre alte Sequenz „Laudes Christo“ des Abtes Berno von Reichenau, in der dieser die Gläubigen auffordert, den heiligen Willibrord mit einem großen Dreisprung („magno tripudio“) zu feiern. 1497 wurden in einer Quelle erstmals „Springenheilige“ erwähnt. Die erste bildliche Darstellung der Prozession stammt aus dem Jahr 1604. Im 18. Jahrhundert geriet der Brauch unter anderem durch den antiklerikalen Einfluss der französischen Revolution zunehmend unter Druck. Aber den Kirchenoberen war der darin zum Ausdruck kommende ekstatische Glaube als Entgleisung ein Dorn im Auge. 1778 hatte dann der zuständige Erzbischof von Trier, Clemens Wenzelslaus von Sachsen, die in Echternach und benachbarten Orten stattfindende Springprozession verboten, weil diese „nicht vernünftig“ seien. Auch Kaiser Joseph II. ließ 1786 alle Prozessionen verbieten, allerdings erfolglos, denn niemand hielt sich daran.
Mehr als 5.000 Tänzerinnen und Tänzer aller Altersgruppen folgten in diesem Jahr dem Ruf am Pfingstdienstag und „sprangen“ zur populären Willibrord-Polka des Echternacher Komponisten Max Menager in Reihen durch die Straßen der Stadt. Zu Spitzenzeiten waren es noch 12.000 bis 14.000 Pilger und 8.000 bis 9.000 Springer. 2019 wurden 8.400 Pilger gezählt, die Corona-Nachwehen sind derzeit also noch spürbar. Überdies gibt es für die Schulkinder auch nicht mehr automatisch schulfrei für deren Teilnahme, was kurzfristig zu erheblichen Differenzen zwischen Kirche und der linksliberalen luxemburgischen Regierung unter ihrem umstrittenen Ministerpräsidenten Xavier Bettel geführt hatte. Auf den Druck der Öffentlichkeit hin hatte die Verwaltung das Verfahren zur Befreiung vom Unterricht dann jedoch wieder vereinfachen müssen.
Die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg untersagten die Prozession ebenfalls in den Jahren von 1940 bis 1944, ebenso wie Bettels Regierung in den Jahren 2020 und 2021. In diesem Jahr kehrte die Normalität zurück. Neben Traditionspflege und Gruppendynamik spielt in Luxemburg offenbar auch ein nach wie vor unverkrampfter Umgang mit einer gesellschaftlich akzeptierten allgegenwärtigen öffentlichen Präsenz der katholischen Kirche, ihren Heiligen und deren Verehrung eine Rolle. In Echternach trägt der „Willibrordus-Bauverein“ die Verantwortung für die Organisation der Prozession. Er legt den Prozessionsweg und die Reihenfolge der Pilger- und Musikgruppen fest und begleitet sie jeweils mit jeweils einem „Kommissar“. Der Weg führt gut einen Kilometer lang vom Abteihof zur Sauergasse, vorbei an der Peter-und-Paul-Kirche über den Marktplatz hin zur Bahnhofstraße, der Krämergasse, bis sie die Basilika und damit Willibrords Reliquienschrein erreicht.
In der traditionellen Ansprache dankte nun Kardinal Jean-Claude Hollerich, Erzbischof von Luxemburg, allen Anwesenden. Er machte auch keinen Hehl aus seiner Freude, dass viele Schulklassen trotz der regierungsseitig aufgestellten administrativen Hürden erschienen waren. „Nach den von Pandemie und Hochwasser geprägten Jahren erleben wir nun den Krieg in der Ukraine, der uns im Herzen weh tut“, sagte er und forderte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf, ihren körperlichen Einsatz dem Frieden in der Ukraine zu widmen. „Auch der heilige Willibrord hat das Evangelium des Friedens gepredigt.“
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- Springprozession_Echternach: tpr