Madeleine Delbrêl: Die Mystikerin der Straße

Madeleine Delbrel (1904-1964)

von PETER WINNEMÖLLER

Die Liebe ist unteilbar. Das ist wohl der Satz, der das Lebensanliegen von Madeleine Delbrêl exakt beschreibt. Madeleine wurde am 24. Oktober 1904 in Mussidan in der Dordogne geboren. Das südfranzösische Temperament prägte sie ihr Leben lang. Früh zeigte sich ihre Begabung für Literatur und Philosophie. Mit 15 Jahren war sie glühende Atheistin. Das Leben war für sie absurd. „Gott ist tot – es lebe der Tod“, schrieb sie 1922 in einem Gedicht.

Später begegnete sie im Studium jungen Christen. Fasziniert von deren Lebensweise beschloss sie, sich die Sache mit Christus genauer anzusehen. Sie fing an zu beten. Eine dramatische Bekehrung war die Folge. Eine schwere Lebenskrise machte einen Rückzug nach Südfrankreich zu ihren Großeltern notwendig.

Danach studierte sie Sozialarbeit. Nach dem Studium ging sie nach Ivry. In dieser ersten rein kommunistischen Stadt in Frankreich arbeitete sie als kommunale Sozialarbeiterin. Eine katholische junge Frau, die mitten unter den Arbeitern lebte, war auch damals schon für die Gemeinde befremdend. Man war bürgerlich und etabliert. Da gab es kaum Berührungspunkte mit der jungen Frauen und ihrer kleinen Gemeinschaft.

Man nennt sie heute die Mystikerin der Straße. „Deine Stadt ist Dein Kloster“, sagte sie den Menschen. Es war Kontemplation im Alltag, was sie lebte. In Ivry begegnete sie der größten Herausforderung ihres Lebens. Angerührt von Armut und Elend der Arbeiter, beeindruckte sie der Einsatz der Kommunisten für die Menschen. Die Liebe zu den Menschen, ließ eine tiefe Freundschaft zwischen ihr und dem kommunistischen Bürgermeister von Ivry wachsen. Doch sie wurde nie müde, sich mit der geteilten Liebe der Kommunisten auseinander zu setzen.

Der Christ ist zur Liebe berufen. Das Doppelgebot der Liebe lehrt, Gott und den Menschen zu lieben. Die Kommunisten lieben den Menschen und hassen Gott. Die ungeteilte Liebe, das ist der Auftrag des Christen in der Stadt ohne Gott. Wie damals in Ivry, so könnte es heute Berlin, Hamburg, Stuttgart oder sogar München sein.Während Madeleine Delbrêl mit dem kommunistischen Materialismus zu kämpfen hatte, ist es jetzt eher der kommerzielle Materialismus. Dieser liebt nicht einmal die Menschen.

Es ist der Dreiklang aus einem normalen Leben, Gebet und Studium der Schrift und dem Zeugnis von der ungeteilten Liebe, der ihre Lebensbotschaft auch heute so aktuell macht. Sie war Vorreiterin eines neuen und starken Laienapostolats. Frankreich war den anderen europäischen Ländern in Sachen Säkularisierung schon weit voraus. Inmitten unserer Säkularität des Alltags heute zeigt sie den Weg des Christen auf.

Bald war sie über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt und hielt zahlreiche Vorträge insbesondere vor jungen Menschen, die einen Weg im Glauben in ihrem Alltag suchten. Madeleine Delbrêl starb am 13. Oktober 1964 in Ivry. Nach ihrem Tod wurden zahlreiche ihrer Schriften für die Veröffentlichung aufbereitet. Es sind geistliche Schriften von außergewöhnlicher Kraft und Schönheit. Hier schreibt eine Frau, für die Gott im Alltag so präsent war, wie jeder Nachbar, der Kaufmann oder der Bäckerjunge, der die Brötchen bringt.

Ihre Spiritualität beschrieb sie einmal als Tiefenbohrung. Ein Ölbohrturm erschließt ein großes Feld mit einer kleinen, tiefen Bohrung. So muß das Gebet des Menschen im ganz gewöhnlichen Alltag sein. Es soll in die Tiefe gehen. In der wenigen Zeit, die für Gebet verbleibt, erschließt der Mensch von der Straße die ganze Schönheit der Gemeinschaft mit Gott.

Und wie das Öl sich verbreitet, um die Häuser zu heizen, so verbreitet sich die aus der Tiefe gewonnene Gemeinschaft mit Gott im Alltag der Menschen.

Bildquelle:

  • Madeleine Delbrel: kna

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