von KLAUS KELLE
BOCHUM – Machen wir uns nichts vor: Die 2:1-Niederlage in Bochum heute Abend hat den achten Abstieg von Arminia Bielefeld aus der Ersten Bundesliga besiegelt. Natürlich gibt es noch Rechenakrobaten, die bei einer Verkettung absonderlicher Ergebnisse eine Minimalchance auf den Klassenerhalt sehen. Aber ich nicht. Ich bin seit 45 Jahren dabei, und glauben Sie mir, ich habe alles schon erlebt mit diesem Verein, dem Sportclub der Ostwestfalen, wie er sich selbst nennt, obwohl mit dem SC Paderborn in den vergangenen Jahren ein respektabler Konkurrent am Teutoburger Wald erwachsen ist.
Die 3000 nach Bochum mitgereisten Fans waren stinksauer und machten ihren Unmut über die zuletzt gezeigten Leistungen zurecht Luft.
Und wenn ich Ihnen erzähle, dass die Niederlage heute Abend durch ein Eigentor in der 91. Minute erfolgte, dann wissen Sie eigentlich alles, was Sie über meine Arminia wissen müssen.
Wir, Sie erlauben mir, dass ich mich heute als Journalist mal mit einer Sache gemein mache, wir können nur Drama. Eine ruhige Saison, solider 10. Platz, das gibt es einfach nicht bei uns. Und dieser Abstieg jetzt, der bahnte sich ja seit zwei Monaten an. Wenn Sie eine an sich wettbewerbsfähige Mannschaft haben, aber in acht Spielen nur zwei Tore selbst schießen, ja, dann steigen sie halt ab. So einfach ist das. Und alle hatten ja noch gehofft, den Relegationsplatz 16 zu erreichen. Warum eigentlich? In meinem Leben als Armine war ich drei Mal bei einer Regelation dabei – Arminia hat alle drei verloren. Jetzt 16. und dann Relegation gegen den HSV…es bräche mir das Herz.
Und es hat auch schon schlimmere Abstiege gegeben. Noch heute wachen viele Arminen manchmal schweißgebadet nachts auf, wenn sie an den 19. Mai 2014 denken. Trotz eines 3:1 Erfolges im Hinspiel bei Darmstadt 98 auswärts, verlor Arminia auf der heimischen Alm durch ein Tor von da Costa in der – ich schwöre – 122. Minute mit 2:4 die Relegation. Und der Schiri pfiff nochmal an, Arminia in Ballbesitz stürmte kopflos auf das Tor der Darmstädter zu, sie rannten als ginge es um ihr Leben. Dann Schuß aufs Tor der Darmstädter – und der Ball knallt an den Pfosten. Kein Tor natürlich. Schluss. Aus. Aus. Aus. Das Spiel war aus. Darmstadt stieg in die Zweite auf, Bielefeld in die Dritte ab. Meine Kinder und ich standen auf der Südtribüne zwischen Tausenden blau-weiß Uniformierten mit versteinerten Mienen. Keiner wird dieses Spiel jemals vergessen, der dabei war.
Ich bin in meinem Leben schon hunderte Male gefragt worden, wieso ich ausgerechnet zur Arminia, dieser Grauen Maus, fahre. Und ich erzähle dann, dass es meine Heimat ist dort, es die beste Bratwurst der Bundesliga zu kaufen gibt, die Stimmung oft phänomenal ist. Aber die eigentliche Wahrheit ist: Dieser Verein ist etwas ganz Besonderes. Immer voller Selbstironie – „Was gibt es, wenn Marco Künzel allein aufs gegnerische Tor zuläuft? Einwurf für den Gegner! -, immer wieder dabei „ob nah oder weit“, wie wir bei jedem Heimspiel zu singen pflegen.
Es ist nicht schön, abzusteigen, aber es ist auch nicht unerträglich. In der Zweiten gegen – vielleicht – den HSV, Hannover 96, Paderborn und Düsseldorf, hey, es gibt Schlimmeres. Die Bude ist auch dann voll, die Bratwurst und die Stimmung sind auch dann gut. Was soll’s?
Ich war 14, als mich ein Mitschüler von der Realschule im lippischen Lage eines Tages fragte, ob ich mal mitkommen möchte zu einem Spiel von Arminia Bielefeld. Ich sagte zu, nicht ahnend, dass dieser Abend unter Flutlicht eine gravierende Spur in meinem Leben hinterlassen würde. Arminia in der Regionalliga damals, Zwangsabstieg nach Bundesliga-Bestechungsskandal. Zu Gast der Bundesligist 1. FC Kaiserslautern, hoher Favorit. Die gingen 1:0 in Führung, irgendwann wurde ein neuer Spieler zum ersten Mal bei Arminia eingewechselt. Volker Graul, so heißt der Mann. Er lief auf den Rasen, bekam das erste Mal in seinem ersten Spiel den Ball zugespielt und hämmerte ihn ins Tor der Kaiserslauterner. Und in dieser Sekunde hat mich der Blitz getroffen, ich habe das Licht gesehen, ich bin noch heute verliebt wie am ersten Tag. Erste Liga, Zweite Liga, Dritte Liga? Völlig egal, denn „Niemand erobert den Teutoburger Wald!“