Verhandungen in Istanbul: Etwas weniger töten – aber wie soll die Zukunft aussehen?

Liebe Leserinnen und Leser,

ist dies jetzt wirklich der Durchbruch? Können wir alle und vor allem die Menschen in der Ukraine darauf hoffen, dass die Waffen in den nächsten Tagen schweigen?

In Istanbul bei den Ukraine-Verhandlungen hat Russland gestern zugesagt, seine Kampfhandlungen an der nördlichen Front bei Kiew und Tschernihiw deutlich zurückzufahren. Nach Aussage der russischen Delegation, „um Vertrauen aufzubauen“ (Alexander Fomin). Russland sei bereit „Schritte zur Deeskalation zu gehen“, was aber – leider, leider – nicht bedeute, dass man mit dem Morden im Nachbarland nun einfach aufhöre.

Vertrauen? In einen russischen Präsidenten, der sich noch im Januar über öffentliche Warnungen der USA vor einem bevorstehenden russischen Einmarsch in die Ukraine, lustig gemacht hat – so wie sein Außenminister, so wie mehrere Berater. Lesen Sie dazu hier

Eigentlich könnten alle jetzt einfach aufhören zu schießen, denkt man, denn der jetzige Status Quo wird sich nach menschlichem Ermessen nicht mehr gravierend verändern. Die russische Armee ist weder von der Mannstärke als auch offensichtlich von der militärischen Kraft in der Lage, die Ukraine zu besetzen oder sogar zu halten. Ukrainischen Soldaten ist es gestern gelungen, die Städte Trostjanez und Irpin von den russischen Invasoren zu befreien, die dort wenige Tagen das Sagen hatten. Und ebenfalls gestern wurde der Ansturm russischer Streitkräfte auf die Hauptstadt Kiew erneut zurückgeschlagen.

Aber reden wir nicht über Geländegewinne, reden wir über das Morgen. Nach der völkerrechtswidrigen Übernahme und Einverleibung der Krim 2014 in das Staatsgebiet der Russischen Föderation. So ähnlich dürfte man sich das im Kreml jetzt auch mit den Separatistengebieten im Donbass vorstellen, und natürlich will man auch die gerade frisch besetzten Gebiete nicht mehr hergeben. Dass die Ukraine die Rechtmäßigkeit der russischen Aggression und die Abtrennung ukrainisches Staatsgebietes an Russland unterschreibt, sei „indiskutabel“, versicherte Präsident Selenskyj noch einmal. Und er hat absolut Recht damit, den Wegelagerern nicht nachzugeben.

Die Ukraine möchte in die EU, und wenn schon nicht in die NATO, dann wenigstens knallharte und verlässliche Sicherheitsgarantien von den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und weiteren Ländern wie der Türkei, Italien, Polen, Israel und Deutschland. Vielleicht bietet unsere Bundesregierung dann nochmal gebrauchte Schutzhelme an. Oder nein, so eine Peinlichkeit werden sie sich nicht noch einmal leisten, hoffe ich.

Schon nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte Russland übrigens einen Vertrag unterschrieben, der dem souveränen Staat Ukraine eine Sicherheitsgarantie zusicherte gegen die Abgabe der auf dem Staatsgebiet gelagerten Atomwaffen an Russland. 2014 konnten wir dann alle sehen, was vertragliche Zusicherungen des Kreml wert sind. Nicht einmal das Papier, auf dem sie ausgedruckt wurden.

Und überhaupt, wenn jetzt alles auf den Tisch kommt, um eine tragfähige Vereinbarung für Frieden und die Neuordnung zu schaffen, was ist eigentlich mit Wladimir Putin? Dem Mann, der persönlich schuld trägt, an den Zehntausenden Todesopfern jetzt schon und den Zerstörungen überall im Norden, Osten und Süden der Ukraine. Soll der Mann davonkommen, sich vielleicht jedes Jahr auf dem Roten Platz bejubeln lassen, dass er „russische Erde eingesammelt“ hat? Das darf auf keinen Fall passieren, wenn es noch sowas wie Gerechtigkeit gibt.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.