Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
als ich 1985 in der Bad Salzufler Lokalredaktion des „Westfalen-Blattes“, das dort „Lippische Rundschau“ hieß, in Ausbildung zum Redakteur war, hatten wir eines Tages Stress mit dem Schützenverein. In der Provinz, das muss man wissen, sind Schützenvereine (Westfalen) und Karnevalsvereine (Rheinland) gesellschaftliche Machtfaktoren. Die Bürgergesellschaft ist da organisiert, man trifft sich zur Brauchtumspflege, man säuft zusammen im Festzelt oder beim „Zoch“, man engagiert sich wohltätig, man hilft einander, wer wichtig ist in einer Klein- oder Mittelstadt tut gut daran, Mitglied zu sein, wenn man „dazu gehören“ will.
Eine Tages hatten wir irgendetwas Despektierliches über den Schützenverein oder den Oberschützen geschrieben, keine Ahnung mehr, um was es ging. Jedenfalls kam ein geharnischter Brief – liebe Kinder, damals hieß Messenger noch Brief und wurde von euren Eltern mit einer Tastenschreibmaschine auf ein Blatt Papier geschrieben und in einem Briefumschlag mit einer Briefmarke drauf in einen gelben Briefkasten geworfen. Wenn es gut lief, kam dann am nächsten Tag ein Mann (ja, ein Mann) vorbei und brachte diesen Brief dem Empfänger – auch mit so einer Nötigung/Drohung.
Wenn nämlich beiliegender Text zur Richtigstellung des Vorgangs im Schützenverein nicht am nächsten Tag in voller Länge abgedruckt werde, dann – wahrscheinlich hatten sie beim Verfassen ihre Uniformen an – werde man die Abos der „Lippischen Rundschau“ kündigen. Rund 20 Leute hatten unterschrieben, um der Drohung Nachdruck zu verleihen. Meine direkte Vorgesetzte war nervös. Wir hatten vielleicht in der Stadt 2000 Abonnenten, da ist bei einer Boykott-Drohung der Schützen-Kompanie Alarmstufe Rot. Nebenbei, weil ich Ihnen morgens immer gern auch mal kleine Anekdoten zum Besten gebe: Die Leiterin unserer Lokalredaktion – ich weiß den Namen nicht mehr – hatte in den Lokalredaktionen in Ostwestfalen zeitweise echten Kultstatus, weil sie in der Überschrift zu einem Artikel über Katzenbabies die Überschrift getextet hatte: „Muschi bleibt nicht immer ein wolliges Knäuel“. Fotokopien dieser Überschrift hingen überall in den Redaktionen: Bielefeld, Höxter, Paderborn, Kalletal. Und bis heute bin ich der Ansicht, man sollte der Kollegin posthum den Pulitzerpreis verleihen.
Natürlich druckten wir die Stellungnahme damals in voller Länge, denn niemand will im Lokaljournalismus Stress mit einer uniformierten Pressuregroup.
Gestern dachte ich an diese kleine Schmonzette, als auf Facebook in einer Gruppe wegen der Ukraine der Kampf der Meinungen tobte. Ich meine, es ging darum, dass die Amis angeblich wieder irgendwas Böses gemacht oder gesagt oder gedacht haben sollen und Russland toll ist. Oder umgekehrt. Wie Sie wissen, habe ich zu diesen Themen eine klare Haltung, die wirklich niemand von Ihnen teilen muss. Hey, noch ist dies ein freies Land, es ist nicht mein Job, Ihnen vorzuschreiben, was Sie denken sollen. Mein Job ist Journalismus. Meine Autoren hier und ich schreiben, was wir zu wissen meinen, wir checken Themen ab, so gut es geht. Und von denen, die immer lautstark bemängeln, dass wir nicht mit drei Journalisten in Kiew und Mariupol, Stahlhelm auf dem Kopf, unterwegs sind, ist kein Einziger, der oder die ein Abo bei uns haben oder irgendwas spenden.
Wenn Zehntausende Menschen jeden Tag bei uns Texte lesen und nur wenige Hundert ein Abo abschließen für sündhaft teure und unverschämte 6,80 Euro im Monat oder mal für einen 50er als Spende, einmal im Jahr, dann ist es schwierig, Korrespondentenbüros in Peking, Moskau, Washington und Brasilia zu unterhalten. Da muss man sich halt auch mal auf Nachrichtenagenturen verlassen, die ja nicht per se schlecht oder „ferngesteuert“ von Klaus Schwab sind.
Also gestern wieder auf Facebook: Herr Kelle, eigentlich schätze sie sie ja, aber was sie zu Russland schreiben, das geht ja gar nicht. Wie kann ich mein Abo kündigen?
Nun, die Antwort ist leicht: Im Moment gar nicht. Durch den Hackerangriff vorletzte Woche hat das automatisierte Abosystem zerschossen und wird gerade komplett neu wieder aufgebaut. Alle Abonnenten bekommen dann eine Mail, wie es weitergeht. Weiter bezahlen muss aber im Moment niemand etwas. Wir arbeiten dran. Wahrscheinlich müssen wir das ganze Abosystem komplett neu aufbauen.
Also, wenn Ihnen das nicht gefällt, was wir und ich hier schreiben, dann lesen Sie es halt nicht! Vielen ist auch der Unterschied zwischen Blog und Nachrichten nicht klar. Wir sind kein Kampforgan für oder gegen etwas, wir versuchen, die Realität abzubilden. Vor ein paar Tagen haben wir darüber geschrieben, wie im Donbass russischstämmige Bewohner diskriminiert worden sind. Da haben mir mehrere von Ihnen geschrieben, wie gut es ist, dass wir beide Seiten dieses Themas zeigen. Aber wenn Sie erwarten, dass wir Putins brutalen und völkerrechtswidrigen Krieg hier schönschreiben, dann suchen Sie sich bitte etwas anderes zum Lesen.
Ich bin fast 40 Jahre Journalist, und ich hab in der Zeit Einiges gemacht, was nicht jeder erlebt in seinem Leben. Und als ich meinen gemütlichen und gut bezahlten Job bei der BILD aufgegeben habe, um irgendwie publizistisch mitzuhelfen, dass sich Deutschland wieder auf einen vernünftigen Kurs bewegt, haben meine Frau und gute Freunde gesagt: Willst Du das wirklich tun? Sicherheit aufgeben, 14 Monatsgehälter, Anerkennung – mit dem Logo BILD auf der Visitenkarte kommen sie überall rein, wirklich überall – Betriebsrente, 32 Tage Urlaub. Herrlich.
Wir machen hier Journalismus, jeden Tag für ein bürgerliches, liberal-Konservatives Publikum, für Leute, die einer Arbeit nachgehen, sich gesellschaftlich und politisch irgendwie engagieren, eine Familie haben, gern grillen, wenn das Wetter schön ist, die Gesetze weitgehend achten und keine Zwangsimpfung und staatliche Bevormundung wollen, die mit ihren Kindern am Sportplatz stehen, wenn die bolzen, oder mit den älteren ins Stadion und sonntags in die Kirche gehen. Wer das langweilig oder doof findet, den Wunsch nach dem alltäglichen Glück verachten, den die meisten von uns haben, der findet viele andere Angebote im Netz. Auch, ohne Geld bezahlen zu müssen.
Vor einigen Wochen schrieb mir ein Leser: Herr Kelle, wieso haben Sie heute in TheGermnZ berichtet, was „der unsägliche Karl Lauterbach“ da wieder gesagt hat? Ich antwortete: Weil er der deutsche Gesundheitsminister ist. Wir bewegen uns in der Realität, wie sie nun einmal ist. Ob sie uns gefällt oder nicht. Und wir geben unterschiedlichen Sichtweisen Raum. So, wie ich es mal gelernt habe als junger Journalist.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Klaus Kelle
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