Politische Lage vor der Bundestagswahl: Die Sache ist längst noch nicht gelaufen

von HERMANN BINKERT, Chef des INSA-Instituts

Berlin – Am 24. September wählen die Deutschen einen neuen Bundestag und vier Monate vor der Wahl scheint das Ergebnis schon festzustehen.

Ob man sich in den Medien informiert oder die Meinungsumfragen studiert, die Union und Bundeskanzlerin Angela Merkel sind klar in Führung. Der SPD und ihrem Vorsitzenden Martin Schulz schlägt inzwischen Häme und manchmal schon Mitleid entgegen. Ist das Rennen zur Wahl also schon gelaufen?

Die Indizien scheinen eindeutig: CDU/CSU führen mit großem Abstand vor der SPD. Die Kanzlerin ist im direkten Vergleich wieder uneinholbar und aus allen drei Landtagswahlen dieses Jahres ging die CDU als stärkste Kraft hervor. Dies ist umso bedeutender, weil es im Vorfeld nicht so erwartet worden war Die Gründe dafür waren unterschiedlich – von der populären Amtsinhaberin und ihrer vom Wähler favorisierten GroKo im Saarland, über den ungeschickten Amtsinhaber in Schleswig-Holstein bis zur Abwahl einer offensichtlich an ihrer Bilanz gescheiterten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.

Gemeinsam war allen drei Landtagswahlen, dass die Wahlbeteiligung im Vergleich zu den Wahlen vor fünf Jahren stieg, dass es in den Tagen vor der Wahl noch große Bewegungen in der politischen Stimmung im jeweiligen Land gab und dass die landespolitischen Themen im Mittelpunkt standen. Der Wähler nutzten im Saarland die Erkenntnis aus den Meinungsumfragen und entschieden sich für die beliebte GroKo und die populäre Amtsinhaberin und damit gegen ein mehrheitlich nicht gewünschtes rot-rotes Bündnis unter Lafontaines Einfluss.

Wären die Grünen im Saarland einen Prozentpunkt stärker oder die AfD 1,3 Punkte schwächer gewesen, hätte es für Rot-Rot-Grün bzw. für Rot-Rot gereicht. Wäre die AfD in Schleswig-Holstein – mit einem Prozentpunkt weniger Stimmen – nicht in den Landtag gekommen und hätte die Linke mit 1,2 Punkten mehr den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft, hätte die Küstenkoalition aus SPD, Grünen und SSW mit linkem Beiboot weiter regieren können. Und in Nordrhein-Westfalen liegen CDU und SPD gerade einmal 1,8 Punkte auseinander. Hätte die SPD einen Punkt mehr und die CDU einen Punkt weniger erzielt, Hannelore Kraft wäre Ministerpräsidentin geblieben.

„Hätte, hätte, Fahrradkette“, hat der Schulz-Vorgänger als SPD-Kanzlerkandidat, Peer Steinbrück, einmal gesagt. Trotzdem sollte man sich einen Moment vor Augen halten, dass – trotz des deutlichen Stimmungswandels, der in allen drei Ländern stattfand – auch andere Mehrheiten hätten möglich werden können.

Es ist hilfreich, sich das bewusst zu machen, wenn man den 24. September in den Blick nimmt. Gerade die letzten vier Monate haben gezeigt, wie schnell sich die politische Stimmung verändern kann. Das für die nächsten vier Monate auszuschließen, hieße nichts aus den drei Landtagswahlen gelernt zu haben.

Für die Bundestagswahl ist es höchstwahrscheinlich, dass

  • die Wahlbeteiligung signifikant steigt,
  • keine Partei mehr über 40 Prozent kommt,
  • es in Zukunft sechs Fraktionen im Deutschen Bundestag geben und
  • die GroKo die einzig rechnerisch mögliche Zweier-Konstellation sein wird.

Bis zum 24. September fließt noch viel Wasser die Spree hinab. Nicht auszuschließen, dass auch unerwartete Ereignisse Stimmungsschwankungen in die unterschiedlichsten Richtungen bewirken.

Bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 machten jeweils etwa 30 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch. Etwa jeder Fünfte, der uns bei Umfragen sagt, dass er sich an der Wahl beteiligen möchte, weiß noch nicht, wem er seine Stimme gibt. Und auch nur jeder Zweite, der uns sagt, wen er bei einer Bundestagswahl am kommenden Sonntag wählen würde, ist sich sehr sicher, dass das bis zum Wahltag auch tatsächlich so bleibt. Die Stimmung von Nichtwählern, Unentschlossenen und Unsicheren zu erkennen, ist eine große Herausforderung für die moderne Wahlforschung. Wir werden dabei noch stärker unterschiedliche quantitative und qualitative Methoden nutzen. Quantitative Online- und Telefonbefragungen gehören ebenso zu dem notwendigen INSA-MODUS MIXTA wie qualitative Face-To-Face-Befragungen, Online-Forumsdiskussionen und telefonische Tiefeninterviews.

Für die Parteien ist, neben dem Blick auf die Unentschlossenen und Unsicheren, die Pflege der eigenen Stammwähler wichtig. Sie zur Stimmabgabe zu bewegen, ist entscheidend für ihre Mehrheitsfähigkeit – bei den kleineren Parteien, wie z.B. den Grünen, sogar für ihre Parlamentszugehörigkeit. Auch demobilisierte Stammwähler erschweren Wahlprognosen.

Meinungsforscher messen die Stimmung zum Zeitpunkt ihrer Befragung. Die Wähler entscheiden am Wahltag. Dass sie immer für Überraschungen gut sind, haben sie in den letzten Jahren wiederholt gezeigt. Es bleibt spannend, auch nach drei vermeintlich eindeutigen und überraschenden Landtagswahlentscheidungen.

 

Bildquelle:

  • Hermann_Binkert_interview: insa

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