VILNIUS – Die „Zuckerbrot und Peitsche“-Politik der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) schlägt wieder in Europa zu. Das jüngste Opfer der Peitschenhiebe ist Litauen. Sein Vergehen ist die Eröffnung einer „taiwanischen Repräsentanz“ in der Hauptstadt. Peking rief Litauen auf, „unverzüglich seine falsche Entscheidung zu revidieren, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den Schaden zu beheben und nicht weiter auf dem falschen Weg zu gehen“.
Zuckerbrot gab es vor etwa zehn Jahren, als Litauen seinen Flughafen als Drehkreuz für chinesische Flüge und seinen wichtigsten Seehafen Klaipeda als Anlaufstelle für chinesische Schiffe beworben hatte – und damit im Wettbewerb mit seinen Nachbarn Estland und Lettland durch diese Übereinkünfte mit China quasi vorne lag. Litauen hoffte auf lukrative Geschäfte und den Ausbau seiner Infrastruktur durch Chinas Hilfe.
Im Jahr 2012 schloss sich Litauen mit 15 anderen mittel- und osteuropäischen Ländern, darunter neun EU-Mitglieder, zu einer von der KP Chinas geleiteten Gruppierung zusammen. Die Initiative ist als „17 plus eins“ bekannt und trifft sich jährlich mit Parteichef Xi Jinping.
Diese Länder wollten unabhängig von den mächtigen Ländern im Westen ihre eigenen Handelsbeziehungen mit China aufbauen und davon wirtschaftlich profitieren. Die politischen Konsequenzen der Beziehungen hatten sie allerdings erst ignoriert, doch jetzt mit aller Härte zu spüren bekommen.
Botschafter abgesetzt
Die KPC sieht durch das taiwanische Büro in Litauen ihre Souveränität verletzt und hat am 10. August ihren Botschafter, Shen Zhifei, nach China zurückbeordert. Litauens Botschafterin Diana Mickeviciene, musste nach ihrem Sommerurlaub plötzlich packen und am 31. August nach Hause fliegen.
Wenn das Büro in Litauen den Namen der Hauptstadt Taiwans, also Taipeh, tragen würde, hätte Peking keine Probleme damit gehabt. Obwohl Taiwan in mehr als 70 Ländern diplomatisch vertreten ist, verwenden die meisten Vertretungen die Hauptstadt des Landes im offiziellen Namen. In Deutschland heißt das Repräsentationsbüro beispielsweise „Taipeh-Vertretung“.
Pekings harte Reaktion auf Litauen wird als Warnschuss für andere Länder in Europa angesehen, die diesem Beispiel folgen wollen. Dies verhärtet die ohnehin schon düstere Stimmung zwischen China und der Europäischen Union.
Für Brüssel wird es immer schwieriger, die wachsende Besorgnis über die Menschenrechte in China und den Wunsch nach einem besseren Zugang zu Chinas lukrativen Märkten unter einen Hut zu bringen, schreibt „Radio Free Europe“.
„Litauen steht bei diesem Trend an vorderster Front“, sagt Frank Juris, Experte für Außenpolitik am Estnischen Institut für Verteidigung und Sicherheit. Der Ansatz der KP Chinas, „kleine Staaten herauszupicken und unter Druck zu setzen, erweist sich als kontraproduktiv“.
Litauens Präsident Gitanas Nauseda bekräftigte in einem Interview mit der „Financial Times“ am 15. August, dass Litauen mit China Beziehungen haben möchte, die auf dem Prinzip des gegenseitigen Respekts beruhen. „Andernfalls verwandelt sich der Dialog in einseitige Forderungen, die in den internationalen Beziehungen nicht akzeptabel sind.“
1989 Baltikum – 2019 Hongkong
Dies ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Die Beziehungen waren zuvor schon angespannt, vor allem auch wegen der Protestaktionen für Hongkong in Litauen im Jahr 2019. Damals bildeten 210.000 Hongkonger eine 50 Kilometer lange Menschenkette, um gegen die zunehmende Unterdrückung Hongkongs zu protestieren. Zur gleichen Zeit fanden sich mehr als 12.000 Unterstützer in Litauen zusammen, um ihre Solidarität zu bekunden – so wie sie es vor 30 Jahren getan hatten.
Die Demonstrationen in Hongkong und Vilnius fanden am 23. August, am Jahrestag des „Baltischen Weges“ im Jahr 1989, statt, als sich zwei Millionen Menschen in Litauen, Estland und Lettland an den Händen hielten und eine 680 Kilometer lange Menschenkette bildeten, um die Unabhängigkeit von der ehemaligen Sowjetunion zu fordern. Die Bewegung von vor 30 Jahren inspirierte die Aktivisten in Hongkong dazu, ihre eigene Version zu starten, die sie „Hong Kong Way“ nannten.
Die Aktion in Litauen vor zwei Jahren wurde jedoch von Gegendemonstranten gestört. Das litauische Außenministerium erklärte damals, chinesische Botschaftsmitarbeiter seien „in die Organisation rechtswidriger Handlungen verwickelt“ gewesen. Die Gegendemonstranten schwenkten chinesische Fahnen und lösten damit einen Aufruhr bei der Aktion aus.
Die Polizei verhängte gegen zwei chinesische Staatsbürger Geldstrafen wegen Störung der öffentlichen Ordnung. Der damalige Außenminister Linas Linkevičius erklärte, dass einige chinesische Diplomaten „aktiver waren, als sie sein sollten“. Einige Diplomaten hätten Grenzen überschritten und sich in einer Weise verhalten, „die mit ihrem diplomatischen Status unvereinbar ist“.
Einige Monate später filmten sich chinesischsprachige Besucher dabei, wie sie ein Denkmal abmontierten, die als Zeichen der Unterstützung für Hongkong auf dem Berg der Kreuze errichtet war.
Der Berg der Kreuze ist nicht nur ein katholischer Wallfahrtsort, sondern auch ein Symbol des Widerstands gegen die Sowjetherrschaft. Der Vorfall rief den damaligen Außenminister auf den Plan. Auf Twitter sprach Linkevičius von „Vandalismus“ – der nicht mehr toleriert werden kann und wird.
Uiguren-Verfolgung ist Genozid
Litauen hat seitdem nicht aufgehört, seine Kritik gegenüber Pekings Aktionen zu äußern. Erst im Mai dieses Jahres bezeichnete das Parlament in Vilnius Pekings Behandlung der uigurischen Minderheit in Xinjiang als „Völkermord“. Und während der Hochzeit der Corona-Pandemie spendete Litauen 20.000 Dosen des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca für Taiwan.
„Was jetzt passiert, ist Teil einer Entwicklung in der Außenpolitik, die schon seit einigen Jahren im Gange ist“, sagt Konstantinas Andrijauskas, China-Experte an der Universität Vilnius. Die wirtschaftlichen Versprechungen, die Litauen sich von den China-Beziehungen erhofft hatte, haben sich nicht erfüllt, so der Experte. Und Pekings Verhalten wird nun als Bedrohung für die internationale Ordnung angesehen, von der Litauen bisher viel profitiert hat.
Inmitten des aktuellen diplomatischen Streits ist Litauen sogar zur Zielscheibe der chinesischen Staatsmedien geworden. Sie bezeichnen das baltische Land als „Vertreter der USA“, der die Beziehungen zwischen China und der EU entgleisen lassen will.
In einem Leitartikel vom 13. August kritisierte die „Global Times“, ein von der Kommunistischen Partei Chinas kontrolliertes Blatt, Litauens Politik gegenüber Peking und rief zu gemeinsamen Anstrengungen mit Belarus und Russland auf, um Vilnius als Warnung für andere Länder zu „bestrafen“.
Kein „17 plus eins“ mehr
Außenminister Gabrielius Landsbergis erklärte Mitte August dazu, dass Litauen seine Politik fortsetzen wird, „weil es nicht allein Litauens Politik ist, sondern die Politik vieler europäischer Länder“. Monate zuvor hat er den Austritt aus der Gruppe der „17 plus eins“ angekündigt. Die Initiative würde die EU spalten und sei weniger effizient als eine vereinte EU.
Alex Lo von der „South China Morning Post“ rätselt in einem Kommentar darüber, warum Litauen China „den Kopf hinhält“. Könnte es sich um eine List der Amerikaner handeln? Will Washington testen, wie weit der Westen in der gefährlichen Frage der Souveränität und Unabhängigkeit Taiwans gehen kann? Lo meint, die USA würden hinter dem Konflikt stehen und sie wollten Litauen auf die Probe stellen. Das würde beiden Nationen nicht sonderlich schaden, da Litauen wirtschaftlich eigentlich nur begrenzt mit China verbunden ist – es ist der zwölftgrößte Handelspartner des Landes – und die USA sind seit mehreren Jahren sowieso im Konflikt mit China.
So hat Litauen einen gewissen Spielraum. Ähnlich verhält es sich mit anderen kleineren Ländern in der EU, die ihren Unmut über Peking zum Ausdruck gebracht haben.
Auf der anderen Seite gibt es EU-Staaten wie Deutschland, die wirtschaftlich viel enger mit China verflochten sind und eine härtere Haltung gegenüber Peking kategorisch ablehnen. Welchen Weg Deutschland nach der Bundestagswahl am 26. September gegenüber China einschlagen wird, hängt davon ab, wer die Wahl gewinnt.
Annalena Baerbock von den Grünen, die für das Amt des Bundeskanzlers kandidiert, hat sich für eine eher ablehnende Außenpolitik gegenüber China ausgesprochen. Armin Laschet, der Vorsitzende der CDU und ein weiterer Kanzlerkandidat, hat ebenfalls begonnen, eine pragmatischere Haltung gegenüber China einzunehmen. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sagte in einer Debatte auf die Frage, wie die SPD mit China umgehen wolle, man müsse „zurück zu den Einsichten der Entspannungspolitik”, denn „so ist die Welt auch heute noch”.
Der stellvertretende litauische Außenminister Mantas Adomėnas wünscht nach dem Abschied von Angela Merkel allerdings eine klare „Europäische Führung“. Er wolle eine Führung, „die nicht darauf aus ist, sich an die Spitze zu stellen“, sagt Adomėnas, „sondern eine, die ihre wirtschaftliche Macht nutzt, um die Grundwerte Europas zu verteidigen“.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung.
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