von MARTIN D. WIND
AHRWEILER – Es waren beeindruckende Bilder aus dem Katastrophengebiet: Hunderte Landwirte hatten sich spontan zusammengetan, ihre Traktoren angeworfen, die Frontlader aus den Scheunen geholt, ihre Güllefässer angehängt, Pumpen, Schippen, Äxte, Motorsägen, Brechstangen aufgeladen, die Notstromgeneratoren zusammengepackt und sind losgefahren. Aus dem gesamten Bundesgebiet machten sie sich auf den Weg nach Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, in die Eifel und in den Landkreis Ahrweiler. Der Sturzregen war noch nicht verrauscht, die Wassermassen noch nicht richtig abgelaufen, da waren die ersten Vorauskommandos der Landwirte schon im Katastrophengebiet, haben über die sozialen Netzwerke den Kollegen mitgeteilt, was von Nöten ist und Anlaufstellen benannt.
Zwei der Landwirte hatten sich schon auf den Weg gemacht, bevor das Unwetter überhaupt über die Menschen in der betroffenen Region losbrach. Die beiden hatten aufmerksam die Wetterentwicklungen beobachtet, hatten die Ansage eines privaten Wetterdienstes ernst genommen und aus ihren Erfahrungen im Umgang mit der Natur erkannt, dass „da was ganz Großes auf uns zurollt“. Und so konnten sie unmittelbar erleben, was passierte und erkennen, was jetzt dringend gebraucht würde. Zuerst lag ihr Augenmerk noch auf der Hilfe für Berufskollegen. Innerhalb kurzer Zeit waren die Reaktionen auf facebook, bei WhatsApp und in telegramm-gruppen so rege, die Hilfsbereitschaft der Kollegen so überwältigend, dass dringend eine geregelte Koordination geschaffen werden musste.
Gemeinsam stellte man im Rahmen der Bewegung „Land schafft Verbindung“ in unfassbar kurzer Zeit eine Art Börse, ein Forum für benötigte Güter und Hilfsdienste sowie Angebote von außerhalb auf die Beine: Es wurden Futter wie Heu und Kraftfutter an zentralen Verteilstellen gesammelt. Es kamen Einstreu wie Stroh und Sägemehl und es wurden Tiertransporte organisiert, für Landwirte denen die Ställe der Tiere vom Wasser weggerissen worden war.
Je deutlicher das gesamte Ausmaß der Zerstörung und die Wucht der Katastrophe wurden, umso mehr dehnten die Bauern ihre Hilfe aus. Sie räumten Straßen frei, pumpten Häuser leer, holten Menschen aus ihren Wohnungen, die dort zwei Tage lang „vergessen“ worden waren und bargen Tote. Sie sahen Tot und Verderben, waren mit verzweifelten Menschen konfrontiert, die in einer Nacht alles – ihr gesamtes Hab und Gut – verloren hatten und nur noch das besitzen, was sie am Leibe tragen.
Und dann erfuhren sie Unglaubliches: Selbst zwei Tage nach der Heimsuchung gab es im Landkreis Ahrweiler noch immer Ortschaften und Siedlungen, die derart von den Wassermassen betroffen waren, dass noch kein Offizieller bis zu ihnen durchgedrungen war. Und so machten sie sich zu Fuß auf, erklommen Weinberge, stiegen auf der anderen Seite ins Tal und trafen dort auf völlig traumatisierte Menschen, die völlig abgeschnitten von offizieller Hilfe, alleine ihrem Schicksal ausgeliefert waren. Und wieder „machten“ die Landwirte „einfach“.
Sie setzten sich auf ihre Trecker, schlugen sich über Waldwege und durch Weinberge durch, um den Menschen Hilfe zukommen zu lassen. Sie begannen den drei Meter hoch aufgetürmten Schutt, das Geröll, die verkeilten Bäume und weggeschwemmten Fahrzeuge aus den engen Straßen und Gassen der Weiler abzufahren. Um die Lage zu entschärfen und den Trupps der Katastrophenhilfsorganisationen einen schnellen Zugang zu ermöglichen, unternahmen sie große Anstrengungen, eine weggespülte Bundesstraße wiederherzustellen, die die einzige Verbindung zu diesen Orten darstellte.
Und während man über die sozialen Netzwerke beinahe just in time von den Landwirten über die fürchterliche Lage, die Not, die Sorgen im Katastrophengebiet unterrichtet wurde, musste man auf der anderen Seite erfahren, dass Katastrophenschutzeinheiten, Feuerwehr und THW aus anderen Landkreisen und Bundesländern noch auf der Anfahrt zurückgeschickt wurden, weil „man sie nicht brauche“, die „offiziellen Stellen hätten ausreichend Personal und „alles im Griff“. Da bleibt man sprachlos zurück. Und dann ging das abstoßende Gezerre der Politik los, das man leider erwartet haben musste. Doch darauf soll hier nicht weiter eingegangen. Es kommt eh noch schlimmer.
Irgendwann merkten die Baggerfahrer, dass die Hängerfahrer nicht mehr auftauchten, um das Räumgut abzufahren. Polizei und Feuerwehr hatten sich soweit durchgeschlagen, dass sie zumindest mal da für Ordnung sorgen und die privat organisierte Schuttabfuhr unterbinden konnten. Ein Landwirt meinte: „Das ist der Ort, den Merkel morgen besuchen will. Da darf es nicht zu aufgeräumt aussehen.“ Ja, da war Bitternis zu spüren. Und es kommt noch dicker: Die behelfsmäßige Wiederherstellung der Bundesstraße musste etwa eine Stunde vor Fertigstellung beendet werden, weil niemand bereit war, dem Bauunternehmer, der mit Maschinen und Mitarbeitern erst von weit her angefahren war und dann drei Tage auf eigene Rechnung gearbeitet und seine Maschinen zu Schanden gefahren hatte, für die kommenden Tag zumindest die Kostenübernahme zuzusichern.
Das ist Deutschland 2021! Der Bauunternehmer hat seine Maschinen- bzw. das, was von ihnen noch übrig ist – aufgeladen und ist gefahren, nachdem man ihm deutlich gemacht hatte, dass „das das THW auch könne“. Vom THW war da aber weit und breit niemand zu sehen. Ein Teil der Bauern hat die Faxen jetzt offenbar auch dicke und entscheiden, die Segel zu streichen, weil eine sinnvolle Weiterarbeit unter diesen Umständen verhindert wird.
Sie werden jetzt wohl einige Zeit benötigen, bis sie die platt gefahrenen Reifen, die zerrissenen Hydraulikschläuche, die verbogenen Laderschaufeln, die abgescherten Kipperbolzen und die erschütterten Seelen zumindest so weit gerichtet haben, dass sie zuhause die liegengebliebene Ernte einholen können. Übrigens: Keiner, kein einer der vielen Politiker, die sich da im Katastrophengebiet unter großer medialer Anteilnahme ablichten ließen, hat auch nur mit einem Wort das großartige Engagement der Landwirte, der Bauunternehmer, der Gartenbaubetriebe, der Forstwirte, der Elektriker, der Klempner und Installateure erwähnt. Kein Danke, kein nichts! Nicht von Angela Merkel, nichts von Malu Dreyer, nichts von Svenja Schulze, kein Wort von Steinmeier oder von Laschet. Nicht. Gar nichts. Was für ein Signal an Menschen, die ihre Expertise und ihr eigenes Vermögen für Mitmenschen eingesetzt haben. Was für eine Missachtung, ja was für eine Verachtung gegenüber den freiwilligen Helfern.
Bildquelle:
- Landwirte_Unwetter: wilhelm hartmann