von SEBASTIAN STIEKEL
KOPENHAGEN – Um 0.28 Uhr verließen die beiden Mannschaftsbusse der Dänen das Stadion von Kopenhagen. Die «magische Nacht», die ihr Trainer Kasper Hjulmand vorher angekündigt und dann auch genau so bekommen hat, war damit aber noch lange nicht vorbei.
Denn seine Spieler sangen und tanzten in den Bussen einfach weiter. Und draußen auf den Straßen der dänischen Hauptstadt machten tausende Fans genau das gleiche. Es sah so aus, als könne ein ganzes Land auch fast zwei Stunden nach dem 4:1 (1:0)-Sieg seiner Nationalmannschaft gegen Russland einfach nicht aufhören zu feiern. Der Co-Gastgeber Dänemark hat nach zwei Niederlagen zum Auftakt tatsächlich noch das Achtelfinale dieser Fußball-Europameisterschaft erreicht und spielt dort jetzt am kommenden Samstag in Amsterdam gegen Wales.
«Ich hätte mir nie erträumen können, ein Teil von etwas so Großem zu sein», sagte der 20 Jahre alte Mikkel Damsgaard, der einer von vier dänischen Torschützen (38. Minute) neben Yussuf Poulsen (59.), Andreas Christensen (80.) und Joakim Maehle (82.) war. «Das letzte Spiel gegen Belgien war schon das Größte, was ich je erlebt hatte. Aber das hier schlägt diese Erfahrung noch einmal.»
«Volksfest im Parken»
Das Parken Stadion in Kopenhagen ist schon jetzt so etwas wie der Ort dieser EM. Denn in nur zehn Tagen erlebten Spieler und Zuschauer dort nacheinander: den Herzstillstand und die Wiederbelebung des dänischen Spielmachers Christian Eriksen beim 0:1 gegen Finnland. Die hochemotionale Rückkehr der Mannschaft beim 1:2 gegen Belgien, als mittlerweile klar war, dass es dem 29-jährigen Star von Inter Mailand wieder besser geht. Und jetzt das Russland-Spiel, dieses «Volksfest im Parken», wie das dänische Fernsehen es nannte.
25.000 Zuschauer feierten ihr Team auf ohrenbetäubende Weise. Vier Ehrenrunden drehten die Spieler, Betreuer und Trainer insgesamt. Ganz am Ende riefen die Fans den Chefcoach Kasper Hjulmand noch einmal ganz allein vor die Südtribüne, weil er es war, der diese Mannschaft durch die schwere vergangene Woche und sie nach dem Ausfall ihres besten Spielers auch noch erfolgreich umgestellt hatte.
Und als alle gegangen waren – die meisten Spieler in die Kabine, der Trainer in die Pressekonferenz und die Fans in die Kopenhagener Nacht – da wanderte noch einmal der Stürmer Martin Braithwaite vom FC Barcelona mit drei seiner Kinder über den Rasen des inzwischen leeren Stadions, so als wolle er ihnen zeigen: Schaut euch diesen Ort noch einmal an. Hier wurde mindestens EM-Geschichte geschrieben.
Trainer Hjulmand begeistert von den Fans
Hjulmand selbst hat an diesem Abend nicht übertrieben, als er sagte: «Die Dänen haben uns Flügel verliehen. Sie haben uns so viel Liebe gegeben. Ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen.»
Die Bilder von Eriksens Zusammenbruch. Der Zusammenhalt seiner Mitspieler in diesem dramatischen Moment. Die Anteilnahme von Millionen Fans. Und die Erleichterung darüber, dass der 29-Jährige mittlerweile sogar das Krankenhaus verließ: All das hat eine Energie erzeugt, über die Hjulmand sagte: «Der Mut, der Zusammenhalt, die Freundschaft dieser Spieler: Davor ziehe ich meinen Hut. Diese Fußballer haben sich in die Herzen der Dänen gespielt. Sie haben den Mädchen und Jungen zu Hause einige Idole gegeben.»
Autokorsos und Freiluft-Partys
Es hatte schon gegen Belgien und jetzt erst recht gegen Russland den Eindruck, als feuerten dort nicht bloß 25.000 Zuschauer elf Fußballer auf dem Rasen an. Sondern als stünde in diesen Tagen ein ganzes Land zusammen. Noch bis weit in die Nacht feierten Tausende in Kopenhagen diesen Erfolg mit Autokorsos und mehreren Freiluft-Partys auf zentralen Plätzen der Stadt. Hinzu kommt: Die dänische Fußball-Hymne «Vi er røde, Vi er hvide» (Wir sind Rote, wir sind Weiße) ist ohnehin eines der stimmungsvollsten Stadionlieder, das je komponiert wurde. Es war in der Hauptstadt schon am Tag des Spiels aus fast jeder Bar und fast jedem offenen Autofenster zu hören.
«Wir alle haben in den letzten zehn Tagen eine turbulente, emotionale Achterbahnfahrt erlebt», sagte der Torwart Kasper Schmeichel. «Aber das zeigt, was der Fußball leisten kann. Was der Fußball mit einer ganzen Nation machen kann.» Christian Eriksen bekam das zu Hause in Odense ebenfalls mit. «Christian schrieb uns sofort nach dem Spiel in unsere WhatsApp-Gruppe. Es war toll, von ihm zu hören», verriet der Verteidiger Jens Stryger Larsen.
Bildquelle:
- Partystimmung: dpa