von LUKAS MIHR
Nun hat es Thomas Greiss erwischt. Der Torwart der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft musste erleben, was die Worte Angela Merkels, „Meinungsfreiheit zum Nulltarif“ gebe es nicht, in der Praxis bedeuten. Der Sportler hat nun keinen Platz im Kader mehr. Sportdirektor Christian Kühnert erklärte: „Wir beschneiden und zensieren niemanden. Absolut nicht. Und jeder darf seine Meinung frei äußern. Aber ob wir jemanden einladen oder nicht, das ist dann unsere Sache.“
Die neue Meinungsfreiheit eben. Man darf zwar sagen was man denkt, muss dann aber mit den Konsequenzen leben.
Aber was hatte Greiss eigentlich gesagt? Welche seiner Aussagen rechtfertigen den Rauswurf des Torwarts, der hauptberuflich in der amerikanischen Eishockeyliga spielt und 2019 ausgezeichnet wurde, weil sein Team die wenigsten Gegentore hinnehmen musste?
Schon 2017 war Greiss in die Schusslinie geraten. Er hatte ein Bild geliked, auf dem behauptet wird, Adolf Hitler wäre nie vor Gericht gestellt worden – genausowenig wie auch Hillary Clinton.
Damals wurde dem Sportler eine Verharmlosung des Holocaust vorgeworfen. Natürlich sind diese Aussagen eine Verharmlosug des Holocaust, aber eben ohne die Absicht einer Verharmlosung des Holocaust. Anders als zum Beispiel der Vorwurf, Israel würde gegen die Palästinenser einen Vernichtungskrieg wie die Wehrmacht führen.
Klug ist es nicht, zu derart schiefen Argumentationen zu greifen, man sollte sich eher auf sachliche Entgegnungen konzentrieren. Mal abgesehen davon, dass die Grundaussage falsch ist. Für seinen Putschversuch im Jahr 1923 wurde Hitler tatsächlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und in Nürnberg wäre er am Galgen gelandet, wenn er sich nicht durch Selbstmord seiner Verantwortung entzogen hätte.
Doch letztlich war das beanstandete Bild ein Angriff auf Hillary Clinton und keine antisemitische Attacke.
Greiss lebt seit 15 Jahren in den USA und ist mit einer Amerikanerin verheiratet, dementsprechend bezeichnet er sich als „amerikanisiert“. Politisch tickt er konservativ und so verwundert es nicht, dass er dem republikanischen Radiomoderator Rush Limbaugh nach seinem Tod: „Ruhe in Frieden!“ wünschte.
Dieser war für seine polemischen Aussagen bekannt und „streitbar“ wäre noch eine untertriebene Beschreibung seines Wirkens gewesen. Niemand kann ernsthaft mehr an der Evolutionstheorie zweifeln – Limbaugh tat es trotzdem. Mit seiner Kritik am Feminismus hatte er Recht, aber ob sein Schlagwort von den „Feminazis“ zu einer sachlichen Debatte beitrug, darf bezweifelt werden. AIDS wollte er nur bei Homosexuellen erkennen – ganz als ob sich noch nie Heterosexuelle mit dem Virus infiziert hätten. Immerhin rückte Limbaugh später von Aussagen wie dieser ab – ein treuer Unterstützer Trumps blieb er zeitlebens.
Trotz all dieser Kontroversen: Es muss möglich sein, einem Menschen, der sich keiner Gewalttaten schuldig gemacht hat, ein „Ruhe in Frieden“ zu wünschen. Auf einen solchen Grundkonsens sollten sich die politischen Lager eigentlich verständigen können.
Natürlich waren Greiss‘ Kondolenzwünsche auch eine politische Stellungnahme. Aber mit welcher von Limbaughs Positionen hatte er sich denn gemein gemacht? Mit allen, auch den skurillen? Sogar mit denen, von denen Limbaugh später im Leben selbst abrückte? Das wissen wir nicht und so lässt sich aus seiner Beileidsbekundung nur ablesen, dass Greiss ein Konservativer ist. Nicht mehr und nicht weniger.
Man darf annehmen, dass Denunzianten am Werk waren. Greiss‘ Instagram-Account hat eine überschaubare Follower-Zahl und wie sich aus der Kommentarsektion ablesen lässt, sind die meisten von ihnen Amerikaner. Ohne die Berichterstattung wäre der Fall also in Deutschland niemals bekannt geworden – ein Imageschaden war also eigentlich unmöglich.
Aber rechtfertigt ein solcher Ansehensverlust, dass man einen Mitarbeiter oder eben einen Sportler entlässt?
Was viele nicht verstehen: Die Meinungsfreiheit schützt eben nicht nur den Arbeitnehmer, sondern auch den Arbeitgeber. Würde in Deutschland die Meinungsfreiheit gelten und unbequeme Mitarbeiter vor der Entlassung für die falsche Ansicht geschützt sein, könnte ein Unternehmen sich immer auf die Position zurückziehen können, eine „falsche“ Meinungsäußerung sei eben eine Privatangelegenheit, die man nicht sanktionieren könne.
Ein Imageschaden entsteht erst durch den folgenden Mechanismus:
Sobald die ersten Firmen vorpreschen und die Meinungsfreiheit nicht mehr respektieren, ist jeder Betrieb, der die Andersdenkenden nicht maßregelt, automatisch dem Verdacht ausgesetzt, selbst derartige Ansichten zu vertreten.
Bildquelle:
- Thomas_Greiss_Eishockey: dpa