von KLAUS KELLE
BERLIN – Der erbitterte Kampf um die Zukunft von Deutschlands mächtigsten Zeitungsmacher Julian Reichelt strebt auf einen Höhepunkt zu. Der mediale Mainstream und wie man hört auch Manche(r) aus den Regierungsparteien im Raumschiff Berlin reiben sich die Hände, dass der unangepasste Blattmacher mit dem rauhen Umgangston stürzen könnte. Grund sind Vorwürfe, die mit genau diesem Umgangston gegenüber Mitarbeiterinnen zu tun haben, jetzt neu werden von interessierter Seite über Drogengeschichten und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen ins Spiel gebracht.
Im Hause Axel Springer wird das Thema Compliance extrem ernstgenommen. Compliance beschreibt Regeln, die sich ein Unternehmen gibt und auf deren Einhaltung strikt geachtet wird. Bei Springer gibt es einen Chief Compliance Officer namens Florian von Götz, der die Vorwürfe gegen Reichelt untersucht. Extern wurde die renommierte Anwaltskanzlei Freshfields hinzugezogen, die angekündigt hat, in der kommenden Woche ihren Bericht zu der Causa Reichelt vorzulegen. Und dann muss der Vorstand entscheiden, wie die Zukunft des 40-Jährigen aussieht, ja, ob er überhaupt bei BILD eine Zukunft hat.
Ich hatte zwei Mal persönlich mit Julian Reichelt zu tun, einmal noch bei einer Geburtstagsfeier in Berlin. Und ich mag ihn, seine Art, aber besonders die Art, wie er die BILD wieder zu einer richtigen Boulevardzeitung nach meinem Geschmack gemacht hat. Ich selbst habe sechs Jahre bei BILD gearbeitet, eine gute und spannende Zeit. Chefredakteur war damals Kai Diekmann, er stammt aus Lippe, ist katholisch und Arminia-Bielefeld-Fan wie ich – das schweißt zusammen. Aber Diekmann hatte eine andere Art, das Blatt zu machen. Weicher, mehr wie eine tägliche Bunte.
Reichelt schreckt nicht vor Kampagnen und dem Kampf zurück. Er hat Feinde, weil er sich nicht scheut, Verbrechen aller Art als solche zu bennen. Und in der Flüchtlingsthematik hat er – vor dem Hintergrund all der gewaltsamen Übergriffe von Menschen aus aller Welt, die wir aus humanitären Gründen in Deutschland aufgenommen haben- eine 180-Grad-Kehrtwende mit BILD hingelegt. Das war überfällig.
Jüngst ist er Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihr Totalversagen in der Corona-Krise frontal öffentlich angegangen – für manche Beobachter der Auslöser der Hetzjagd, die gegen Julian Reichelt angelaufen ist, und die von ehemaligen BILD-Redakteuren und -Redakteurinnen befeuert wird, besonders aber durch linke Medien und ihre Apologeten wie der nur noch schwer zu ertragene Fernsehentertainer Jan Böhmermann, den wir alle mit Zwangsgebühren finanzieren müssen. Der sich selbst irrtümlich für einen Satiriker haltende Böhmermann hatte am Freitag in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ den öffentlichen Startschuss für die Kampagne gegeben, als er vom Compliance-Verfahren gegen Reichelt berichtete und den Journalisten als „Graf Koks von der Gasanstalt“ denunziert und twitterte: „Wer nicht gerade bis zum gepuderten Näschen in einem unappetitlichen Compliance-Verfahren steckt…“. Ekelhafte Denunziation, die mich spontan an üble Zeiten erinnerte, als man Menschen in Deutschland öffentlich hinrichten zu versuchte, die von den Mächtigen zum Abschuss freigegeben werden. Mit „Satire“ hat das nichts zu tun.
Auffällig ist auch ein Tweet, in dem sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sehr seltsam in die Angelegenheit einmischt. Was hat der eigentlich damit zu tun? Die Berliner Zeitung berichtete darüber, lesen Sie den Artikel der Kollegen hier
Der Vorstand des Springer-Konzerns hält sich zurück und verweist auf die laufenden Untersuchungen, die man nicht kommentieren wolle: „Zu internen Vorgängen äußern wir uns grundsätzlich nicht. Dies gilt auch für Julian Reichelt.“
Sicher scheint aber zu sein, dass es etwa zehn Personen aus dem Haus – Männer und Frauen – gibt, die die Anschuldigungen gegen den Chefredakteur vorgetragen und aktenkundig gemacht haben. Der „Spiegel“ schreibt von einem „halben Dutzend“. Der Mann, den sie stürzen wollen, hat eine glänzende Karriere hingelegt. Nach Absolvieren der Springer-Journalistenschule arbeitet er in der BILD-Nachrichtenredaktion. Mit Berichten aus Krisengebieten macht er auf sich aufmerksam. Seit 2017 ist Reichelt Gesamtchef der „Roten Gruppe“, bis heute eine Cash-Cow des Konzerns.
Und so ein Mann, der zunehmend zum schärfsten Kritiker der Bundeskanzlerin geworden ist, kommt plötzlich massiv in Turbulenzen? Wirklich nur ein Zufall? Wir werden sehen, was kommende Woche bei Freshfields herauskommt. Aber in der BILD-Redaktion formiert sich zunehmend Unterstützung für den Blattmacher. In Messengerdiensten schreiben Journalisten über Reichelts menschliche Seiten, über Ereignisse, wo er Mitarbeitern in Notlagen geholfen hat, ohne das „an die große Glocke zu hängen“.
In einer Slack-Gruppe, das ist ein webbasierter Instant-Messaging-Dienst für über 1000 Mitarbeiter von Springer, macht sich heute eine BILD-Redakteurin emotional Luft. In einer Nachricht, die uns vorliegt, schreibt sie:
„Ich bin absolut erschüttert über das, was im Spiegel über Julian steht. (…) Ich bin beeindruckt von der Art, wie er sich einsetzt, wenn beispielsweise Kollegen erkranken. Ich habe nie anderes erlebt, als dass er Frauen fördert.“
Es mache sie „fassungslos“, was gerade geschehe und sie sei mit einem Dutzend weiterer Kolleginnen bereit, zu erzählen, „was für ein guter Kerl und Chef er ist…“
Bildquelle:
- Julian_Reichelt_BILD_2: bild.de