von DR. PATRICK PETERS
Rund um das Dax-Unternehmen Wirecard bleibt es spannend. Vom Allzeithoch am 5. September 2018 stürzte die Aktie des Unternehmens auf zuletzt nicht einmal 76 Euro ab. Mittlerweile ausgeräumte Vorwürfe der Bilanzmanipulation, intransparente Kommunikation und kritische Aussagen des Sonderwirtschaftsprüfers KPMG haben das Vertrauen der Aktionäre stark geschädigt.
Zunächst einmal klingt die Story des deutschen Technologieunternehmens Wirecard typisch für das 21. Jahrhundert. Das 1999 gegründete börsennotierte Zahlungsdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Aschheim bei München bietet Lösungen für den elektronischen Zahlungsverkehr, das Risikomanagement sowie die Herausgabe und Akzeptanz von Kreditkarten an. Die Tochtergesellschaft Wirecard Bank AG verfügt über eine deutsche Banklizenz und bietet Dienstleistungen für Online-Zahlungen an. Wirecard kooperiert mit seiner digitalen Plattform für mobiles Bezahlen, eCommerce, Finanztechnologie und Mehrwertdienste mit rund 280.000 Unternehmen (Stand: Dezember 2018). Das historische Wachstum: gigantisch. Von 2004 bis 2017 ist der Umsatz um den Faktor 250 gestiegen, der Gewinn um das 4900-Fache – von 50.000 Euro auf knapp 260 Millionen.
Oder wie es im Selbstsprech heißt: „Wirecard ist eine der am schnellsten wachsenden digitalen Plattformen im Bereich Financial Commerce – und zwar weltweit. Wir bieten sowohl Geschäftskunden als auch Verbrauchern innovative Mehrwertservices rund um den digitalen Zahlungsverkehr: online, mobil und am Point of Sale.“ Der Umsatz lag 2018 bei mehr als zwei Milliarden Euro, mittlerweile sind rund 5300 Mitarbeiter bei dem Unternehmen, das seit 2002 vom österreichischen Manager Dr. Markus Braun geführt wird, tätig.
Zugleich ist Wirecard aber auch eine der interessantesten Geschichten, die der Kapitalmarkt schreiben kann. Ein 1999 unter dem Namen InfoGenie AG gegründeter ehemaliger Betreiber telefonischer Ratgeber-Hotlines, dessen Aktien seit Oktober 2000 im Börsensegment Neuer Markt gelistet waren und nach massiven Kursverlusten zum Pennystock wurden – und der Ende 2004 im Zuge einer außerordentlichen Hauptversammlung in Wire Card umbenannt wurde – um heute eben als Wirecard AG so gut wie täglich für Meldungen aus dem deutschen Aktienleitindex Dax zu sorgen.
Denn für Anleger bringt Wirecard nicht nur Freude, obwohl das Geschäftsmodell klar auf die Zukunft ausgerichtet ist. Keine Frage: Digitale Bezahltechnologien sind ein wesentlicher, zukunftsorientierter Bereich, und sicherlich wird die Bedeutung, auch durch die Folgen der Corona-Pandemie, noch einmal sprunghaft wachsen. Nichtsdestotrotz hat die Wirecard-Aktie seit September 2018 wirklich brutal geblutet. Damals notierte sie bei einem Allzeithoch von knapp 200 Euro. Heute ist sie nicht einmal mehr 76 Euro wert. Die Vermögensvernichtung liegt damit im hohen einstelligem Milliardenbereich.
Aber was ist der Grund für diese massiven Abwärtsbewegung? Laut dem Wirecard-Vorstand gibt es keine. Tatsächlich aber hatte die renommierte Wirtschaftszeitung „Financial Times“ für den Absturz gesorgt. Ende Januar hatte die „Financial Times“ zunächst über mögliche Dokumentenfälschung und Geldwäsche durch einen Manager von Wirecard in Singapur berichtet und zwei Tage später gemeldet, dass die von Wirecard beauftragte Anwaltskanzlei Rajah & Tann Hinweise auf finanzielle Unregelmäßigkeiten entdeckt habe. Durch gefälschte Rechnungen und sogenanntes „Round-Tripping“ (Kreislauf von Geld besonders in Bezug auf Investitionen im In- und Ausland) sollen die Umsätze aufgebläht und so die Bücher manipuliert worden sein. Die „Financial Times“ hatte später nochmals nachgelegt und dafür laut Wirecard „hochvertrauliche“ Dokumente aus einem Compliance-Audit“ des Unternehmens verwendet.
Seitdem wird das Unternehmen von diesen Vorwürfen der Bilanzmanipulation und anderen Klebrigkeiten verfolgt. Und diese, verbunden mit einer teils intransparenten und wenig vertrauenserweckenden Kommunikationspolitik, haben die Aktionäre eben so stark verunsichert, dass diese Wirecard auf Talfahrt schickten. Daran änderte auch der eigentlich positive Sonderbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG nichts, der Ende April erschienen war: „Belastende Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nicht gefunden“, teilte Wirecard betont selbstsicher mit.
Aber: Laut dem renommierten Schweizer Wirtschaftsmagazin „Cash“ erwies sich die KPMG-Sonderprüfung „ eher als Eigentor. Zwar konnte die Prüfungsgesellschaft tatsächlich keine Beweise für die seit Jahren im Raum stehenden Vorwürfe der Bilanzmanipulation finden. Trotzdem machte der Bericht die Lage für Wirecard noch ungemütlicher. Denn: Die Prüfer monierten die Kooperationsbereitschaft der Wirecard-Vorstände. So wurden etwa Dokumente teils verspätet zugestellt oder Interviewtermine immer wieder verschoben. Die Prüfung großer Teile des für Wirecard wichtigen Drittanbietergeschäfts sei schlicht nicht möglich gewesen. Die Prüfer werfen Wirecard unverhohlen vor, die Untersuchungen behindert zu haben. Allgemeines Fazit: Hier handelt es sich um ein Unternehmen, dass nicht sonderlich an der Aufklärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe interessiert ist.“
Das wiederum hat zur Neuorganisation des Vorstands geführt, der die Macht von CEO Markus Braun stark beschneiden wird. Zum einen zieht mit dem US-Amerikaner James Freis ein neuer Compliance-Chef in den Vorstand, bislang Chief Compliance Officer der Deutschen Börse. Zweitens soll eine weitere Stelle im Vorstand für einen Chief Operating Officer (COO) geschaffen werden. Der CEO Markus Braun verliert laut Medienberichten die Verantwortung über die Kommunikation mit den Investoren sowie Teile des operativen Vertriebs.
Nur: Die Anleger hat das offensichtlich nicht überzeugt. Nach einem Ausreißer nach oben, der die Aktie am 11. Mai auf rund 98 Euro zurückführte, lag sie am 15. Mai beim besagten Wert von nicht einmal 76 Euro. Was das für Investoren bedeutet? Darauf lässt sich keine klare Aussage treffen. Laut dem Fachportal „Börse online“ trübt sich das Chartbild der Wirecard-Aktie langfristig gesehen ein. Diese sei aber beispielsweise für „kurzfristig orientierte Anleger“ geeignet, die auf eine weitere Phase der begonnenen Erholung hofften.
Nur eines ist gewiss: Die Wirecard-Geschichte bleibt spannend!
Bildquelle:
- wirecard_zentrale: wirecard ag