Vor 50 Jahren wurde Kanzler-Spion Günter Guillaume verhaftet

Bundeskanzler Willy Brandt, DDR-Spion Günter Guillaume und Helmut Schmidt (v.l.) beim SPD-Parteitag 1973 in Hannover.

von THILO SCHNEIDER

BONN – Als am 24. April Polizei und Bundesnachrichtendienst beim Ehepaar Guillaume in Bonn die Türe eintraten, war einer der ersten Sätze, die Günter Guillaume sagte: „Ich bin Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Ich bitte, meine Offiziersehre zu respektieren.“ Dieser geradezu rührende Satz, basierend auf einem noch aus der Wehrmacht übernommen Ehrverständnis, war letztlich dafür verantwortlich, dass der mutmaßlich beste Spion, den die DDR je hatte, letztlich wegen Landesverrats verurteilt wurde. Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt verlor einen Vertrauten, einen Freund und letztlich sein Amt. Denn die Beweislage gegen Günter Guillaume war trotz seiner Verhaftung überraschend dünn.

Wer war der Mann, wer war das Ehepaar, das den Architekten des „Wandels durch Annährung“ zu Fall brachte?

Günter Guillaume wurde 1927 in Berlin geboren und trat sinnigerweise am 20. April 1944 mit der Mitgliedsnummer 9.709.880 in die NSDAP ein. Den Krieg erlebte er in den letzten Tagen als Flakhelfer in Schleswig-Holstein, wo er dann von den Briten gefangen genommen wurde. Er entkam der Gefangenschaft und floh nach Berlin, dort arbeitete er als Fotograf für eine Werbefirma und als Bildreporter. Ob er gründlich entnazifiert wurde, ist nicht bekannt, immerhin war er Nichtnazi genug, um 1952 in die SED einzutreten.

Ab 1954 wurde er unter dem Decknamen „Hansen“ als Inoffizieller Mitarbeiter bei der Stasi geführt und erhielt dort auch eine nachrichtendienstliche Ausbildung. 1956 schleuste die Stasi ihren Agenten und dessen Frau Christel Boom als „Republikflüchtling“ in die noch junge BRD ein, ausgestattet mit 10.000 DM Bargeld, mit dem der junge Revolutionär das „Boom am Dom“, einen Kaffee- und Tabakladen in Frankfurt eröffnete. Jetzt war er nun mal hier.

Der Mann und seine Frau, die 1958 der Stasi beitrat, war gut und die Karriere steil! 1957 wurde die SPD seine dritte Parteienmitgliedschaft, ab 1964 war er hautberuflicher Parteifunktionär, seine Frau Christel, wie sich das für die SPD gehört, Parteisekretärin. Guillaume organisierte Wahlkämpfe, „sein“ Abgeordneter Georg Leber sammelte jede Menge Erststimmen in Frankfurt ein. Der revanchierte sich, indem er Guillaume als Referent ins Bundeskanzleramt vermittelte. 1972 schließlich wurde er der persönliche Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt. Und nicht nur sein Referent, sondern auch sein Freund. Als solcher hatte Guillaume tiefste Einblicke in geheime Akten und das Privatleben des Bundeskanzlers. Günter und Christel Guillaume gingen bei Willy Brandt und seiner Frau ein- und aus. Man urlaubte sogar gemeinsam.

Schließlich gab es seit 1973 beim Bundesnachrichtendienst Hinweise, dass irgendetwas mit dem Adlatus des Bundeskanzlers nicht stimmte – aber es gab keine handfesten, konkreten und gerichtsverwertbare Beweise gegen den Mann. Brandt war nicht nur politisch, sondern auch persönlich von der Enttarnung des Meisterspions derart getroffen, dass er bereits zwei Wochen später seinen Rücktritt erklärte – obwohl Brandt dafür wohl am Wenigsten konnte.

Das wäre Sache des BND gewesen und der nachfolgende parlamentarische Untersuchungsausschuss der „Affäre Guillaume“ legte schwere fachliche und technische Mängel des Bundesnachrichtendiensts offen, die das Ansehen und das Vertrauen in den BND und die anderen westdeutschen Nachrichtendienste nachhaltig schädigten.

Im Dezember 1975 wurde Günter Guillaume schließlich wegen Landesverrats zu 13 Jahren Haft, seine Frau Christel zu acht Jahren Haft verurteilt. Abgesessen haben beide tatsächlich nur rund sechs Jahre, 1981 wurden sie im Rahmen eines Agentenaustauschs an die DDR überstellt. Dort hagelte es Orden und Auszeichnungen bis hin zum „Doktor der Rechtswissenschaften ehrenhalber“. Günter Guillaume hörte auch nach seiner Rückkehr in die DDR übrigens nicht mit „unerlaubten Kontakten“ auf und bändelte mit der ebenfalls bei der Staatssicherheit beschäftigten 17 Jahre jüngeren Elke Bröhl an. Die er nach seiner Scheidung im Dezember 1981 auch heiratete und deren Namen er dann annahm. Günther Guillaume, jetzt Bröhl, schrieb noch ein Buch über seine Agententätigkeit und verstarb 1995 an Nierenkrebs. Fun-Fact: Der gemeinsame Sohn der Guillaumes übersiedelte 1975 in das Arbeiter- und Bauernparadies, bemerkte 1988 aber, dass er weder Arbeiter noch Bauer war und stellte einen Ausreiseantrag, den das MfS nur unter der Auflage genehmigte, dass er seinen Familiennamen „Guillaume“ ablegt. Auch er schrieb ein Buch über seinen Vater.

Brandt selbst war nach der Enttarnung seines vertrauten Freundes nicht mehr der gleiche Kanzler wie davor. Herbert Wehner, der mächtigste Mann der SPD, beschimpfte seinen eigenen Bundeskanzler Brandt als „Herr, der gerne lau badet“ und bezeichnete das Kabinett als „eine Regierung, der der Kopf“ fehlt. Brandt selbst beteuerte in seiner Rücktrittsrede: „Es ist und bleibt grotesk, einen deutschen Bundeskanzler für erpressbar zu halten. Ich bin es jedenfalls nicht.“

So ganz richtig war dies allerdings auch nicht

Im Mai 1974 erhielt der Referent des Innenministers Genscher, Klaus Kinkel, vom Chef des Bundeskriminalamts, Herbert Nollau, ein Dossier, das aus den Verhören von Günter Guillaume zusammengestellt war. Kinkel informierte Brandt über den Erhalt der Akte. Hier waren haarklein Informationen über Brandts Alkoholkonsum sowie das Sexualleben des verheirateten Kanzlers zusammengestellt, das mit dem Wort „Promiskuität“ noch sehr freundlich umschrieben werden konnte. Guillaume selbst soll Willy Brandt Frauen zugeführt haben. Nollau schließlich fürchtete, dass die Details aus Brandts Privatleben an die Öffentlichkeit kommen und so eine Kampagne gegen den Bundeskanzler auslösen konnte. Nollau setzte sich zu einem „privaten Gespräch“ mit Wehner zusammen und veranlasste ihn, Brandt zum Rücktritt zu bewegen. Wehner nahm sich danach seinen Parteikollegen Helmut Schmidt zur Seite, der von der Nachfolge von Willy Brandt als Kanzler „überrascht“ gewesen sein will. Brandt selbst beklagte vor seinem Rücktritt, dass er weder von Wehner, noch von Schmidt noch in der SPD die Unterstützung bekommen hätte, die er gebraucht hätte, um die „Affäre Guillaume“ durchzustehen.

Markus Wolf, der Chef des MfS, betonte nach dem Fall der DDR, dass es nie die Absicht der Stasi war, Brandt zu stürzen und bezeichnete dessen Rücktritt als „Panne“, die den Weg für den härteren und konsequenteren Helmut Schmidt freimachte.

Die „Affäre Guillaume“ war letztendlich der Anlass für Brandts Rücktritt. Der Grund dürfte aber eher in Brandts Depressionen, seiner Alkoholsucht und einer allgemeinen Amtsmüdigkeit zu suchen sein. Faktoren, die heute weitestgehend vergessen sind. Brandt selbst sagte einmal in einem Interview: „In Wahrheit war ich kaputt, aus Gründen, die gar nichts mit dem Vorgang zu tun hatten, um den es damals ging.“ Was tatsächlich korrekt gewesen sein muss. Denn die spärlichen Meldungen von Guillaume nach Ost-Berlin wurden von der Stasi, wie man heute sagen würde, „mehr so mittel“ eingestuft. Nichtsdestotrotz ist Brandt, ebenso wie Schmidt, als einer der großen Kanzler in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen. Die Frage bleibt bis heute: Was hätte Brandt ohne seinen Rücktritt noch bewirken können?

Bildquelle:

  • Günter_Guillaume_MfS: depositphotos

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