Desinformation und Einflussagenten: Wurde das alles schon vor 30 Jahren geplant?

Der "Spiegel" veröffentlichte den falschen Reisepass von Jan Marsalek.

von KLAUS KELLE

BERLIN/MOSKAU – Der Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes dürfte der Startpunkt eines großangelegten Plans russischer Geheimdienste gewesen sein, Deutschland und andere Staaten der westlichen Gemeinschaft zu destabilisieren und zu unterwandern. Je mehr Details auch in diesen Tagen wieder ans Licht kommen, desto deutlicher wird das Bild, wie umfangreich Einflussagenten und Spione heute in Politik und Wirtschaftsunternehmen ihre Strippen ziehen.

Ganz aktuell ist der Fall des früheren Wirecard-Managers Jan Marsalek wieder aufgeploppt

Recherchen von Journalisten des ZDF („Frontal“), des Nachrichtenmagazins „Spiegel“, des „Standard“ (Österreich) und der russischen Investigativplattform „The Insider“haben inzwischen bis ins Kleinste die Flucht von Marsalek nachgezeichnet. Der war im September 2020 abgetaucht nach Russland und hatte die Tarnidentität eines russisch-orthodoxen Priesters namen Konstantin Bajazow angenommen. Assistiert haben dabei mehrere Personen, die klar russischen Geheimdiensten zugeordnet werden können.

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Jan Marsalek lebt heute unbehelligt in Russland, deutsche Nachrichtendienste gehen von einem Wohnsitz am Stadtrand von Moskau aus. Dort soll auch der frühere Tengelmann-Manager Karl-Erivan Haub leben. Der ist im Frühjahr 2018 bei einem Skiunfall in der Schweiz angeblich ums Leben gekommen. Seine Leiche wurde nie gefunden, ein Kölner Gericht erklärte ihn dennoch für verstorben.

Ohne jeden Zweifel spielte auch Haub eine Schlüsselrolle als russischer Einflussagent. Ich empfehle unbedingt das Buch der Kollegin Liv von Boetticher „Die Akte Tengelmann“, die atemberaubende Dinge rund um den deutschen Handelsriesen (Netto, Plus, Spar, Kaiser’s) zu Tage gefördert hat. Auch wir haben mehrfach ausführlich berichtet hier und hier zum Beispiel.

Bei der alljährlich stattfindenden bürgerlich-konservativen „Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“, gab es beim Treffen in Erfurt eine Podiumsdiskussion, bei der der frühere Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen einen Vortrag hielt. Er beschäftigte sich mit der Frage, was er gemacht hätte, wenn er 1989 Geheimdienstchef in Moskau gewesen wäre.

„Wir wussten, dass man sich ab 1987 im Moskauer Politbüro damit beschäftigte, was passiere, wenn die Sowjetunion implodiert“, sagte Maaßen. Und weiter: „Glauben Sie doch nicht, dass es überzeugte Kommunisten beeindruckt, wenn in Ostberlin Bürgerrechtler mit Kerzen vor einer Kirche stehen…“

Man habe vermutlich akzeptiert, dass die aktuelle Schlacht verloren gehen wird, und dann konkret überlegt, was man tun kann, Revanche zu nehmen und es dem Westen heimzuzahlen.

Verschiedentlich sind in den vergangenen Jahren Bücher zu diesem Thema erschienen, kleine Auflagen, wenig Beachtung. Ich erinnere mich, dass mir vor Jahren ein solcher Autor sein Buch über die sowjetische Langzeitstrategie schickte und mich bat, es öffentlich zu besprechen. Es kam mir abstrus vor, als eine Verschwörungstheorie. Ich schrieb nichts darüber. Ich hätte mich wohl doch damit beschäftigen sollen.

2018 gehörte der Finanzdienstleister Wirecard zu den 30 wertvollsten deutschen Unternehmen. 125 Milliarden Euro an Geldtransaktionen flossen über den Dienstleister. Darunter auch Zahlungen deutscher Behörden, etwa Überweisungen an V-Leute der Sicherheitsdienste.

Man kann sich diese Fahrlässigkeit gar nicht ausdenken

Wurden Finanzgeschäfte und Zahlungen deutscher Sicherheitsbehörden an russische (und andere) Geheimdienste weitergereicht? Absolut wahrscheinlich.

Marsalek nutzte seine Stellung bei Wirecard auch für andere dubiose Deals, zum Beispiel mit einer russischen Söldnerfirma, die besonders in Libyen aktiv wurde. Geldflüsse wurden über ein „Russisch-Libysches Kulturinstitut“ in Moskau organisiert.

Marsalek und Haub sind nur die Spitze eines Eisbergs

Daran besteht heute kein Zweifel mehr bei den deutschen Sicherheitsbehörden. Andere Namen werden nur im vertraulichen Hintergrundgespräch genannt. Auch die Namen von Politikern, nicht irgendwelche Hinterbänkler von russland-freundlichen Randparteien, sondern richtig große Namen, die Gott sei Dank heute nicht mehr direkt an den Schalthebeln der Macht in Deutschland sitzen. Dass es sich neben Ihnen allen bekannten SPD-Politikern auch um hochrangige frühere CDU-Politiker(innen) handelt, macht die Sache noch beunruhigender.

Die besondere Rolle lebender „Honigtöpfe“

Bei vielen geheimdienstlichen Vorgängen in diesem Zusammenhang spielen russische Frauen eine vermutlich entscheidende Rolle. Jan Marsalek hatte oder hat eine russische Geliebte, deren Name bekannt ist: Natalia Zlobina. Sie war vorher ein „Erotikmodell“ und durfte in einem Horrorfilm 1996 eine Attentäterin spielen, die ihre Opfer mit einem Nervengift umbringt. So wie der russische FSB das mit Alexej Nawalny versucht und jetzt auf eine andere Art zum Abschluss gebracht hat.

Auch beim „Verschwinden“ des Tengelmann-Chefs Karl-Erivan Haub spielte eine russische Geliebte eine wichtige Rolle.Veronika E., angeblich Eventmanagerin mit hervorragenden Kontakten zum russischen Geheimdienst. Hartnäckig hält sich das Gerücht, sie habe ein Kind mit Haub.

Bildquelle:

  • Falscher_Pass_Marsalek: spiegel

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.