von JULIAN MARIUS PLUTZ
DOHA – Am 20. November spielt die weltbekannte Fußballnation Katar im Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft gegen Ecuador. Die Empörung ist da, klein, wahrnehmbar, aber bedeutungslos. Er ist symbolisch wie Windräder in Unterfranken, Regenbogenfahnen an Kirchen und vegane Burger bei McDonalds. Leon Goretzka, zum Beispiel: Der FC Bayern-Profi empfindet die „Homophobie“ im WM-Gastgeberland Katar „sehr beklemmend.” Das sei ”ein Menschenbild aus einem anderen Jahrtausend“, sagte der Nationalspieler nach dem 6:1-Sieg des FC Bayern gegen Werder Bremen gegenüber Sport1. Immerhin. Aber wertlos und zu spät. Weshalb er sich dennoch vom deutschen Rekordmeister bezahlen lässt, der das Logo von Katar Airways am Trikot trägt, werden wir wohl nicht erfahren.
Justizminister Marco Buschmann springt ebenfalls auf den Zug der kostenfreien Empörung: »Wenn wir echte internationale Verständigung wollen: Dann müssen alle Menschen akzeptiert werden, so wie sie sind – egal welches Geschlecht sie haben und wen sie lieben«, sagte der FDP Politiker der Partei, die sich die Freiheit auf die Fahnen geschrieben hat.
Auslöser des Wirbels waren Aussagen von Khalid Salman, der zu den offiziellen Botschaftern der Weltmeisterschaft zählt. Er sagte in einer ZDF-Doku, Homosexualität sei verboten und ein “geistiger Schaden”. Dabei drückt Salman nur das aus, was Staatsräson in der islamischen Diktatur ist. Die Empörung ist geheuchelt. Jeder Verantwortliche wusste, worauf er sich einließ. Ein Schmierentheater voller Lügen und Korruption, worüber der ehemalige FIFA Chef Blattner heute sagt, die Vergabe an Katar sei ein “großer Irrtum” gewesen.
Franz Beckenbauer hat keine Sklaven gesehen
2009 bewarben sich für die WM 13 Jahre später, abzüglich der zurückgezogenen Nationen, fünf Länder: USA, Japan, Australien, Südkorea und Katar. Wie bei der Vergabe der Sommer- und Winterspiele gibt es vier Wahlgänge. Nach jeder Runde muss das Land mit den wenigsten Stimmen die Abstimmung verlassen. Im ersten Wahlgang war dies Australien, anschließend Japan, Südkorea und schließlich die USA. So stand es fest: Katar wird die WM 2022 ausrichten.
Im Herbst 2010 wurden bereits erste Vorwürfe laut: Journalisten der britischen Sunday Times tarnten sich als Lobbyisten US-amerikanischer Unternehmen und boten mehreren Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees fünfstellige Geldsummen an, falls sie den USA ihre Stimmen für die WM 2022 geben würden. Beide willingen ein. Sieben Monate später, im Jahr 2011, standen zehn der 24 Mitglieder des Komitees unter Korruptionsverdacht.
In Deutschland hörte man von den Fußballfans und den geneigten Medien ein leises, kaum hörbares Raunen. Doch so lange der Ball rollt, kann es ja nicht so schlimm werden. Et hätt noch immer jot jejange! Bereits zu dem Zeitpunkt war bekannt, wie schlimm die Arbeitsbedingungen beim Bau der Stadien im Wüstenstaat sind. Franz Beckenbauer hingegen hat keine Sklaven gesehen. Und was ein Kaiser sagt, das gilt.
Blatter 2017: “Es wird in Katar gespielt”
Es war wieder die „Sunday Times“, die enthüllte, dass vor der Vergabe Geld geflossen sei. Demnach habe der ehemalige katarische Funktionär Mohammed bin Hammam fünf Millionen Dollar an Mitglieder des Komitees gezahlt. Bin Hammam wurde bereits 2011 wegen Verstößen gegen den Ethikcode auf Lebenszeit gesperrt. Gemeinsam mit Jack Warner, ein FIFA-Funktionär ohne Skrupel, soll er auf einer Versammlung der Karibischen Fußball-Union versucht haben, Stimmen zu kaufen.
2012 versuchte sich die FIFA wiederum im Whitewashing, also die dreckige Wäsche reinzuwaschen. Nützlicher Idiot war der Jurist Michael Garcia, der mit der Untersuchung der Vorgänge beauftragt wurde. Er beendete den vernichtenden Bericht, der seinen Namen trägt, im Jahr 2014. Doch die Fifa wollte das Stück nicht komplett veröffentlichen, worauf der US- Amerikaner im Dezember 2014 zurücktrat. Erst drei Jahre später wurde der Garcia-Bericht vollständig publiziert.
Von den 22 Wahlmännern bei der WM-Vergabe 2010 waren Stand 2017 noch zwei im FIFA-Amt. Mehr als ein Geschmäckle geschah jedoch Anfang Mai 2020: Enthüllungen brachten ans Licht, dass die Stimmen dreier FIFA-Funktionäre, die für Katar gestimmt hatten, gekauft wurden. Trotz dieser Beweise, fünf Jahre vor der WM, gab es keinen Zweifel: “Die WM wird in Katar gespielt”, betonte der damalige FIFA Chef Blatter im Jahr 2020 in der ARD.
Die Kritik kommt zu spät
Und so wird es geschehen. Hätte man nicht bereits 2015 Zweifel haben müssen, als das, wie wir alle wissen, das Handball-begeisterte Land Katar die Weltmeisterschaft in diesem Sport ausgerichtet hat? Ein Kader, in dem Profis aus Bosniern, Franzosen, Schweden und ander Länder eingebürgert wurden, um das Handballturnier bestreiten zu können. Warum läuteten da nicht die Alarmglocken? Wo war da die Empörung? Die Weltmeisterschaft im Handball 2015 war nur der Vorlauf, die Probe für die WM 2022. Die Machthaber in der islamischen Diktatur haben getestet, wie weit sie gehen können. Und der Erfolg gab ihnen recht.
Die Entrüstung von Nationalspieler Leon Goretzka kommt zu spät. Er wird in Katar spielen. An seinen Beinen klebt die Verantwortung, in einem Land zu spielen, das kein Interesse hat, schwules Leben zu akzeptieren. Ein Land, in dem Frauen verhüllt werden, weil sie Frauen sind. Jeder Konsument dieser Weltmeisterschaft muss sich die Frage stellen, ob er das mittragen möchte, oder, frei nach Peter Lustig, den Fernseher nicht einfach abschalten sollte.
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