von THOMAS PAULWITZ
BERLIN – „Bürgergeld“ – welch schönes Wort! Und doch ist es leider trügerisch. Unter der Bezeichnung „Bürgergeld“ wird zum 1. Januar 2023 in Deutschland eine reformierte Sozialhilfe eingeführt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung steht bereits, Einzelheiten können im weiteren Gesetzgebungsverlauf jedoch noch nachgebessert werden. Was allerdings auf jeden Fall feststeht, ist die wohlklingende Bezeichnung: „Bürgergeld“.
Dieses Wort klingt sehr gut, denn normalerweise werden die Bürger ja umgekehrt vom Staat zur Kasse gebeten. „Steuern“ nennt sich das unfreundliche Wort dazu, aber im Grunde sind Steuern ja auch ein Bürgergeld, nämlich ein Geld der Bürger, das diese ihrem Staat zu allerlei Zwecken überlassen – zum Beispiel auch, um in Not geratenen Bürgern brüderlich zu helfen. Dieses Bürgergeld (Geld der Bürger) soll nun also wieder als Bürgergeld (Geld für Bürger) zurückkommen. Wie schön! Oder?
Verzicht aufs Gendern
Auch das hässliche Verb „hartzen“ wird zusammen mit „Hartz IV“ verschwinden. Ob man statt „Das ist ein Hartzer“ nun „Das ist ein Bürger“ sagen wird? Oder: „Er muss jetzt bürgern“ statt „Er muss hartzen“? Oder wird man gar statt Peter Hartz nun mit Hubertus Heil den Bundesminister für Arbeit und Soziales als Namensgeber nehmen? Doch „Er ist ein Heiler“ oder „Er muss jetzt heilen“ oder „Heil-Geld“ wären missverständlich und dürften fast so unmöglich sein wie der längst abgeschaffte „Führer“-Gruß. Wahrscheinlich wird der Bezug der Stütze erst einmal wenig phantasievoll als „Bürgergeld beziehen“ in die deutsche Sprache eingehen.
Noch gesteigert wird die anfängliche Freude des Sprachliebhabers durch den Verzicht zu gendern. Was ist nur mit der grün beherrschten Regierungs-Ampel los? Von den Sprachterroristen aus der grünen Genderfraktion hätten wir doch zumindest ein „Bürger*innengeld“ erwartet. Sollen etwa die 42 Millionen Frauen und die rund 400 Diversen in diesem Lande kein Recht auf Sozialhilfe erhalten? Glücklicherweise ist aber den Verantwortlichen wie durch ein Wunder rechtzeitig eingefallen, dass es so etwas Praktisches wie das geschlechtsneutrale generische Maskulinum gibt.
Das Bürgergeld ist nicht nur für Bürger
Auf den zweiten Blick ist es mit der sprachlichen Schönheit und Klarheit allerdings vorbei. So ist im Gesetzestext selbst gar nicht vom Bürger die Rede, sondern schnöde vom „Leistungsberechtigten“ oder von der „leistungsberechtigten Person“, die mit der Agentur für Arbeit einen „Kooperationsplan“ vereinbaren muss. – Ein solcher Plan wäre sicher auch umgekehrt für die steuereinzugsberechtigten Personen in der Regierung wünschenswert. So könnte der Bürger, welcher der Regierung sein selbst erwirtschaftetes Bürgergeld in Form von Steuern übergibt, ebenfalls Sanktionen aussprechen, sollten Absprachen nicht eingehalten werden. Doch außer der Chance, die Regierung nach einer gewissen Zeit abzuwählen, gibt es für den Bürger keine weitere Sanktionsmöglichkeit.
Es hat aber auch einen tiefen Grund, warum im Gesetz nicht von Bürgern, sondern von „Leistungsberechtigten“ die Rede ist. Das Bürgergeld ist nämlich gar nicht ausschließlich für Bürger. Staatsrechtlich gesehen gehören zu den Bürgern in unserer Republik bekanntlich nur diejenigen, welche die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Das Bürgergeld ist jedoch nicht von der Staatsangehörigkeit, sondern lediglich vom Wohnsitz abhängig. Insofern handelt sich bei dem Namen „Bürgergeld“ um einen Etikettenschwindel, denn auch Ausländer dürfen es beziehen. Es ist ein Einwohnergeld, kein Bürgergeld. So trägt das Wort dazu bei, dass der Begriff „Bürger“ aufgeweicht und im Sprachverständnis auf alle Einwohner ausgedehnt wird. Das dürfte einem links geprägten Staatsverständnis entgegenkommen.
Not und Abhängigkeit sprachlich ausgemerzt
In diesem Zusammenhang ist es auch bemerkenswert, wie sich im Laufe der Jahre die Bezeichnung für die staatlichen Unterstützungszahlungen geändert hat. Ein Blick zurück: 2005 wurden „Arbeitslosenhilfe“ und „Sozialhilfe“ im „Arbeitslosengeld II“ zusammengefasst. Umgangssprachlich wurde daraus „Hartz IV“ nach Peter Hartz als Ideengeber für das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Zuvor gab es zwischen 1962 und 2004 das Bundessozialhilfegesetz, zwischen 1956 und 2004 die Arbeitslosenhilfe.
Unterschiedliche Wörter erzeugen unterschiedliche Bilder im Kopf. Zu Kaisers Zeiten und in der frühen Weimarer Republik sprach man noch von „Fürsorge“, siehe zum Beispiel die „Reichsfürsorgepflichtverordnung“ von 1924. Bei „Fürsorge“ denkt man an den Herrn, der für seine Untertanen sorgt wie ein Vater für seine Kinder. Das „Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ von 1927 führte eine „Krisenunterstützung“ ein. Die „Fürsorge“, die als Segen von oben herabkommt, wurde also mit der „Unterstützung“ durch das gegenteilige Sprachbild ersetzt: eine Bewegung, die von unten kommt, stützt und dem Notleidenden aufhelfen soll. Die Nachkriegswörter „Sozialhilfe“ und „Arbeitslosenhilfe“ hingegen lassen an einen Freund denken, der zur Hilfe eilt. Hier gibt es kein Oben und Unten. Helfer und Hilfsempfänger begegnen sich sprachlich auf derselben Augenhöhe. Das ist sehr modern und demokratisch gedacht.
Die Wörter Fürsorge, Unterstützung, Hilfe zeigen Abhängigkeit
Diese Vorläufer des Bürgergeldes haben sprachlich eines gemeinsam: Not und Abhängigkeit werden klar benannt. Bereits beim „Arbeitslosengeld II“ wird jedoch zwar noch die Not benannt, aber die Abhängigkeit („Hilfe“) ist aus der Sprache getilgt und durch „Geld“ ersetzt. Der Verzicht auf die Benennung der Abhängigkeit fördert das Anspruchdenken, dass der Geldempfänger in keiner Schuld steht und ein Recht auf finanzielle Förderung hat. Mit der Bezeichnung „Bürgergeld“ verschwindet dann schließlich auch die Not als Ausnahmesituation aus dem Namen.
Warum ist es wichtig, dass Not und Abhängigkeit sprachlich klar zum Ausdruck kommen? Niemand will in Not sein, niemand will abhängig sein. Jeder versucht, aus einem solchen Zustand herauszukommen. Dieser Ansporn wird mit Wörtern wie „Hartz IV“ und jetzt „Bürgergeld“ nicht gesetzt. Im Gegenteil: „Bürgergeld“ hört sich an wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, das einen zu nichts verpflichtet und an das man sich gewöhnen kann. Eine Regierung, die möchte, dass möglichst wenig Sozialhilfe bezogen wird und möglichst viele Bürger in Lohn und Brot stehen, setzt daher mit einem solchen Wort ein falsches Signal. Aber vielleicht ist das ja auch gewollt? Sprache kann verräterisch sein.
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- Bürgergeld_Armut: pixabay