von MARTIN D. WIND
BERLIN – „Vitamin D kann eine Infektion mit Corona verhindern.“ „Vitamin D verhindert die Erkrankung an CoVid-19“. „Vitamin D mindert den Verlauf einer CoVid-19-Akut-Erkrankung.“ „Vitamin D hat keinerlei Einfluss auf den Verlauf einer CoVid-19-Erkrankung“. So und ähnlich, in allen Schattierungen, jagen sich derzeit Meldungen und Beiträge in Zeitungen und Rundfunksendungen, natürlich auch in den sozialen Medien. Von den Anrufen wohlmeinender Verwandtschaft ganz zu schweigen.
Die einen empfehlen, die anderen warnen und die Dritten verstehen die Welt nicht mehr.
„Vertrauen Sie der Wissenschaft!“ Das ist heute beinahe schon ein verpflichtender Apell, mit dem die Bundesregierung die Apologeten ihrer Politik durch die Talkshows der Republik tingeln lässt. Derzeit wird dieser Satz und seine apodiktische Ansage wieder auf eine schwere Probe gestellt. Episch wogen die Argumentenbeiträge in den digitalen Medien, rauschen im gedruckten Blätterwald und flimmern vom Bildschirm in die Haushalte. Mal kommen die Aussagen als hausbackene Selbsthilfetipps daher – gerne mit einem Produktplacement -, mal im Rahmen von Magazinsendungen und unter Befragung der üblichen Verdächtigen – wichtig schauender und sich um seriöses Auftreten bemühender „Experten“.
Und selbstverständlich entzündet sich die Debatte am ganz heißen Eisen dieser Saison: Corona und CoVid19!
„Vertrauen Sie der Wissenschaft!“ ist inzwischen ein echtes Glaubensbekenntnis. Dann da geht es schon los. Welcher Wissenschaft welcher Fachleute sollen die Menschen denn trauen? Denen, die schon dabei erwischt wurden, große Fehler zu begehen, denen, deren „Vorhersagen“ sich als Kaffeesatzleserei erwiesen oder denen, deren vollmundigen Äußerungen sich als politisch angeforderte Gefälligkeitsbehauptungen herausgestellt haben? Oder soll man solchen trauen, die als abseitig verdammte, eigene Überlegungen zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen wollen?
Aber jetzt erstmal zu denen, bei denen Munition für die Debatte abrufbar ist. Da ist das inzwischen bundesweit berühmte Robert Koch Institut (RKI), das sich auf seiner Homepage recht informativ zu Vitamin D, seine positiven Wirkungen, die Entstehung und den Mangel sowie dessen Folgen auslässt. Wie das bei Bundesinstitutionen oft der Fall ist, datieren die jüngsten Informationen von 2019, einen Bezug zur aktuellen Debatte gibt es nicht, aber man wird grundlegend aufgeklärt.
Konkreter wird das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Das hatte bisher behauptet, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Krankheitsverläufen bei Covid-19 und dem Vitamin D-Spiegel im Blut. Das BfR könnte sich für solche Behauptungen unter anderem auf eine Studie aus den USA berufen. Unternehmenswissenschaftler des Quest-Dignostics-Labors hatten in großer Fleißarbeit die Daten von 20.000 Erkrankten ausgewertet: Ergebnis: Kein Zusammenhang zwischen Verlauf, Schwere der Erkrankung und Vitamin D.
Jetzt hat das BfR seine „Meinung“ geändert und erklärte, dass sehr wohl doch ein Zusammenhang zwischen den Verläufen und dem Vitaminspiegel im Blut bestehen könnte, wie das einige Studien und Untersuchungen zeigten. Das „Joint Committee on Health“ in Irland war schon länger dieser Überzeugung und hatte zur Einnahme von Vitamin D-Präparaten geraten, wenn eine Unterversorgung festzustellen sei. Das hört sich vor allem vor dem Hintergrund des Wissens über die positiven Wirkungen des Vitamin D auf die Gesundheit logisch an.
Aus Kantabrien kommen ähnliche Töne: Dort soll an der Universität in Santander eine Studie erbracht haben, dass rund 80 Prozent der Akuterkrankten zu wenig Vitamin D im Blut haben. Solche Ergebnisse könnten eine Beobachtung erklären, mit der die Universität Bristol aufwartet: Dort hat man herausgefunden, dass bestimmte Teile des Vitamins sich derart am Virus festsetzen, dass deren Kopplung mit den Rezeptoren der Zellen nicht mehr funktionieren.
Demgegenüber steht nun die allgemeine Kenntnis über einen weit verbreiteten Mangel an Versorgung des Menschen mit Vitamin D, der eine Folge seiner Lebensgewohnheiten, des Lebensraumes und des dort herrschenden Wetters ist: Vitamin D wird auf natürliche Weise von der menschlichen Haut gebildet, wenn diese der Sonne ausgesetzt ist. Es gibt Studien, die besagen, dass wir Menschen nördlich des Mittelmeeres schlicht kaum die Chance haben, ausreichend Vitamin D zu produzieren: Bei uns scheint zu wenig Sonne. Und wenn sie scheint, dann scheint sie mit wenig Intensität entweder wegen der Bewölkung oder auch wegen des Auftreffwinkels auf die Erde. Darüber hinaus tragen wir wegen des Wetters viel Kleidung, die weite Bereiche der Haut bedeckt.
Bei alten und pflegebedürftigen Menschen verstärkt sich dieser Mangel noch: Erstens verliert die Haut zunehmend die Fähigkeit zur Bildung des Vitamins und zweitens verbringen diese Menschen aufgrund eingeschränkter Bewegungsfähigkeit noch weniger Zeit in der Natur, als die übrige Bevölkerung. Es ist also einmal mehr recht komplex. Aber allein das Grundwissen um Vitamin D kann schon helfen, dem Missstand ein wenig abzuhelfen: Sei es durch bewusste Ernährung Vitamin D-haltiger Nahrungsmittel – mit Fettfischen, Pilzen, Eiern und Leber – oder mit Nahrungsergänzungsmitteln.
Hier ist dann wieder Vorsicht geboten: Eine Überdosierung kann zu negativen Effekten führen: Der Kalziumspiegel des Blutes kann ansteigen, Nierensteine sind häufig die Folge, es kann zu Übelkeit kommen, der Herzrhytmus kann leiden und im Extremfall soll es sogar schon Tote gegeben haben.
Also: Vertrauen Sie der Wissenschaft!
Bildquelle:
- Vitamin_D: abjetzt