Ganz normale Leute – Parteisoldaten bei der Arbeit

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!

Kennen Sie auch „Parteisoldaten“? Also Menschen, die sich für eine Partei engagieren, die im Wahlkampf Plakate kleben und Flyer in Briefkästen verteilen, die im Garten ein Grillfest für die Nachbarn veranstalten mit CDU-Sonnenschirm, die beim AfD-Stammtisch im Wirtshaus hocken? Die bei irgendwem irgendwo jeden noch so langweiligen Vortrag anhören? Und warum das alles? Ja, weil sie Parteisoldaten sind.

Oder auch selbst Kandidaten

Ich habe das früher selbst gemacht, als ich noch wusste, welche Partei meine „Familie“ ist. Seit ich das nicht mehr weiß, beobachte ich es aber mit großem Interesse und denke oft: hey, die sind ja so, wie ich selbst damals war.

In Brandenburg wird am Sonntag gewählt, und weil ich seit eineinhalb Jahren meinen Lebensmittelpunkt hier habe, werde ich ständig mit Parteisoldaten konfrontiert, die mir morgens am Bahnhof Kaffee schenken wollen und ein Flugblatt dazu. Und alle sind freundlich, sofern ich nicht barsch ablehne und sie anblaffe: „Von Grünen nehme ich nix!“

Ich moderiere hier bei einem privaten Radiosender in Potsdam jeden Tag ein „Wahl Spezial“, immer um 18 Uhr. Immer ein Landtagskandidat von irgendeiner Partei. Gestern war der junge Mann von der FDP da, der im Wahlkreis 21 antritt, am Tag davor die Spitzenkandidatin der WerteUnion, nachher kommt der von der AfD, dann der von den Freien Wählern und morgen kommt die um Wiederwahl werbende Abgeordnete von der CDU. Sie ist schon seit 20 Jahren dabei und hat viele Schlachten geschlagen. Und ich werde sie auf jeden Fall fragen: „Warum tun Sie sich das immer noch an?“

Der vom BSW hat auch zugesagt, anders als SPD und Grüne übrigens. Die wollen nicht von mir interviewt werden – wohl weil sie auch ohne Öffentlichkeit große Wahlerfolge einfahren wegen ihrer grandiosen Ampel in Berlin. Sei’s drum, geht auch ohne.

Was ich sagen will: Wenn Sie die Leute mal persönlich kennenlernen, wenn sie nach der Sendung noch einen Kaffee zusammen trinken, bevor sie weitermüssen zu irgendeinem Infostand, um Orangen zu verteilen, dann bekommen Sie Respekt vor diesen Menschen. Und Sie sehen nicht das Parteiabzeichen vor der Stirn, sondern ganz normale Leute mit ganz normalen Themen und Sorgen. Anna von der WerteUnion ist seit über 20 Jahren Rechtsanwältin hier, sie hat eine Tochter, einen Beruf und ein Leben. Und sie kann auch Umfragen lesen, hat vom Scheitern der Parteifreunde in Sachsen und Thüringen erfahren. Und sie lässt ihre Kanzlei, ihren Broterwerb, ein paar Wochen ruhen, um morgens Flyer in Briefkästen zu stopfen, auf Stehleitern zu steigen, um Plakate sicher aufzuhängen, und abends müde und abgespannt bei irgendeiner Podiumsdiskussion 2 neue Wähler in einer Turnhalle zu werben. Ich bewundere solche Menschen, zumal sie noch nie vorher in irgendeiner anderen Partei war und jetzt das Gefühl hat, etwas tun zu müssen.

So wie der Kandidat von der Freien Wählern, gelernter Luft- und Raumfahrtingenieur, auch er nie vorher politisch aktiv. Auch er rennt von Termin zu Termin. INSA sieht seine Partei gerade bei 4 Prozent. „Da geht noch was“, sagt er und rauscht aus dem Studio zum nächsten Infostand.

Spannend auch mein Studiogast gestern von der AfD, die ja auch in Brandenburg „gesichert rechtsextrem“ sein soll. Wir unterhalten uns darüber, welche Bedeutung das Tesla-Werk für Brandenburg hat. Er sorgt sich um den Trinkwasserschutz in der Region. Früher war er mal bei den Jusos und SPD-Mitglied, dann ein Zwischenspiel bei den Freien Wählern, jetzt ist er Kandidat für die AfD. Rechtsextremisten habe ich mir wirklich immer anders vorgestellt.

Wenn Sie in Brandenburg leben und wahlberechtigt sind, tun Sie mir einen Gefallen: – gehen Sie hin! Machen Sie mit! Demokratie ist etwas sehr Kostbares.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.