EM-Start ohne Regenbogen und Gendern bitte: Ab heute wollen wir einfach nur Fußball sehen

Ab heute sollte es wieder um Fußball gehen - nur um Fußball

von MARK ZELLER

MÜNCHEN – §in großes Fußballturnier – noch dazu im eigenen Land. Das bedeutet üblicherweise einen kollektiven Ausnahmezustand im Zeichen des runden Leders: Rasengrüne Monitore, kickende Kinder in Nationalmannschaftstrikots, Fahnen in Fenstern und an Autos und ausgelassene Stimmung auf den Straßen bis tief in die Nacht. Fußballherz, was willst du mehr?

Nur, so einfach ist es leider längst nicht mehr im Deutschland des Jahres 2024. Und das beginnt schon bei der Vorberichterstattung:

Die Aufmacher und Leitartikel – meist geschrieben von jungen Damen, die erkennbar mit Fußball ungefähr so viel zu tun haben, wie ich mit Wirtschaftsmathematik – überschlagen sich gerade mit einer Art Betriebsanleitung, was im Sinne unterstützender Begeisterung „erwünscht“ ist und was nicht. Da wird problematisiert bis polemisiert. Tenor: „Deutschland-Stimmung? – Ja, aber…“.

Und diese „top down“ verordnet angezogene Handbremse zieht sich munter durch. So veröffentlichte die Spielort-Stadt Düsseldorf erst vorgestern einen „Verhaltenskodex“. Wer sich nicht schon beim Lesen des Vorwortes auf der Suche nach dem Bezug zum eigentlichen Ereignis kopfschüttelnd abgewandt hat, etwa beim Selbstbekenntnis als „weltoffene und diverse Stadt“, wird „belohnt“ mit Handlungsanweisungen in Sachen kultureller Aneignung, Körpersprache und dem sprachlichen Umgang mit Menschen – so wörtlich – „denen du ihr Geschlecht nicht ansiehst.“

Gottseidank kenne ich aus eigenem Erleben noch ganz andere, unverkrampfte Zeiten mit prägenden EM-Highlights. Meine ersten bruchstückhaften Erinnerungen gehen zurück auf den Sommerurlaub 1980, als auf Röhrenfernsehern in rauchigen Hotelkellern kurzbehoste Männer mit heruntergezogen Stutzen um die Wette grätschten – und am Ende unser „Ennatz“ Dietz den Pokal in den Nachthimmel von Rom reckte. 1992 kaufte ich mir im Zelturlaub an der Ostsee meine erste Deutschland-Flagge, die aber die Finalpleite gegen die dänische „Big Mac-Truppe“ nicht verhindern konnte.

Vier Jahre später setzte die „Euro“ in England stimmungsmäßig auch auf dem Festland neue Maßstäbe inklusive Autokorso durch die heimische Fußgängerzone ­­– mit dem einzigen Schönheitsfehler, dass ich, bereits wenige Stunden nach dem deutschen Titelgewinn und quasi noch mitten in Feierlaune, bei der Bundeswehr antreten musste. 2012 wiederum feierten wir gemeinsam mit unseren spanischen Freunden im Centro Español buchstäblich mit Pauken und Trompeten.

Und dazwischen lag natürlich unser dieser Tage oft zitiertes „Sommermärchen“ 2006. Die Welt zu Gast bei Freunden – dieses Motto haben wir mit Leben gefüllt. Ein Land, das sich selbst und den Fußball feiert – ohne Überlagerung durch das ansonsten übliche pathologisch gestörte deutsche Selbstbild. Und Leute aus aller Welt feierten mit. Wir waren gute Gastgeber, ganz aus uns heraus – und eben nicht, weil man es uns verordnet hat oder wir uns nach irgendwelchen bedenkenträgernden Miesmachern gerichtet hätten.

Für einige im eigenen Land war das womöglich zu viel des Guten, und man begann die Sache zu drehen. Zunächst wurde das „Sommermärchen“ nachträglich durch eine im eigenen Land geradezu kampagnenartig vom Zaun gebrochene Kritik an der Vergabe diskreditiert. Dann wurde das sportliche Aushängeschild zum möglichst keimfreien Hochglanzprodukt „Die Mannschaft“ umgestylt. Dazu kam Steuerung beim Ticketing, per Vergabe (Stichwort: „Fan Club Nationalmannschaft“) und Preispolitik, bei gleichzeitiger Entfernung von der Basis. Der potentielle Trikot-Käufer in Tokyo wurde wichtiger als der Training-Kiebitz in Kaiserau. Dass darüber selbst offiziell ausverkaufte Heimspiele zu weitgehend stimmungsfreien Zirkus-Veranstaltung wurden, durfte kaum jemanden ernsthaft überraschen.

Gleichzeitig wurde alles einseitig politisch ausgerichtet und eine diesbezügliche Agenda konsequent durchgedrückt

Von Online-Kampagnen bis zur Sternchen-Schreibe, von Neuers Regenbogenbinde bis zur Stadionbeleuchtung. Unglaubwürdig nur, wenn man dabei manchen gleicher macht als andere, wie etwa Özil, Gündogan oder Rüdiger, die zwar den eigentlichen Haltungs-Katalog des DFB erkennbar sprengten, aber offensichtlich eine Sonderstellung genießen. Unterm Strich wurde alles an Unmittelbarkeit, Unberechenbarkeit, an echten Identifikationspunkten systematisch eingehegt. Problem dabei: Mit wem man sich nicht identifizieren kann, mit dem kann man schwerlich mitfiebern. Und bei alledem blieb der Sport auf der Strecke.

Wär‘ das schön, wenn es zur Abwechslung einfach mal wieder um Fußball ginge! Und da gäbe es einiges, auf das ich mich freue: Auf Deniz Undav, der einen beispielhaften Stolz ausstrahlt, für dieses Land spielen zu dürfen, auf den Anarcho-„Co“ Sandro Wagner, auf die Kante Andrich und den Wirbler Führich, und natürlich auf den ewigen Thomas Müller. Und ich freue mich auf Begegnungen mit Fans aus ganz Europa.

Und auch der Auftakt verspricht einiges: Deutschland gegen Schottland – Fußballtradition pur! Vor über 20 Jahren war ich bei diesem Duell live dabei im Westfalenstadion, ein rassiges Spiel mit einem 2:1-Sieg und einem jubelnden damaligen Coach Rudi Völler. Großer Sport, große Stimmung – und am Ende gewinnen immer…Sie wissen schon. Sowas wünsche ich mir auch für heute Abend – und für die nächsten gut vier Wochen. Also, los geht’s!

Bildquelle:

  • Deutschland-Fan: depositphotos

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