Wie aus berechtigtem Protest purer Kommerz wurde

von THILO SCHNEIDER

BERLIN/LONDON/NEW YORK – Als am 28.Juni 1969 die Polizei die Schwulenbar „Stonewall Inn“ in der New Yorker Christopher Street stürmte, geschah etwas Unglaubliches: Das dortige Publikum wehrte sich. Tagelange Straßenschlachten waren die Folge. Zum ersten Mal hatten sich Homosexuelle gegen Polizeiwillkür und Gewalt gewehrt, statt sich zusammenprügeln und verhaften zu lassen.
In der Folge wurde diesem Ereignis im „Christopher Street Day March“ gedacht, deren Stimmung beim ersten Marsch 1970 von der FAZ mit „ausgelassen und trotzig zugleich“ beschrieben wurde. Aus dem ersten CSD entstand die Tradition, im Juni einen CSD-March abzuhalten. Bis der CSD nach Deutschland kam, dauerte es aber noch 9 Jahre: Erst 1979 fanden in Bremen, Köln und Berlin die ersten CSD-Paraden unter dem Motto „Erhebt Euch – und die Welt erlebt Euch“ statt. In diesen unschuldigen Tagen richtete sich der CSD gegen den §175 StGB (der Homosexualität als Straftat definierte) und gegen Diskriminierung. Beides damals wie teilweise auch heute noch wichtige Anliegen.

Mit der Zeit wurde der CSD zu einer kommerziellen Veranstaltung, in dem nicht mehr der Protest, sondern der Kommerz im Vordergrund stand. Die Aktivistin und Philosophin Judith Butler verweigerte 2010 die Annahme des „Zivilcouragepreises“ der Berliner CSD-Organisatoren mit eben dem Hinweis auf Kommerzialisierung, aber auch auf die „Ignoranz gegenüber Rassismus und doppelter Diskriminierung von homosexuellen und transsexuellen Migranten“.

Dieser Zeitpunkt markiert ungefähr den Verlust der unschuldigen Homosexuellendemonstration für Gleichberechtigung, hin zur Ausstellung diverser Abnormitäten und Perversitäten.
Auf dem heutigen CSD geht es nur noch am Rande um die Gleichberechtigung Homosexueller. Diese „Schraube“ sitzt durch die „Ehe für alle“ (die eigentlich nur die „Ehe für ein paar mehr“ meint) fest. Die Gesellschaft hat heute in sehr weiten Teilen Homosexualität als „gleichberechtigt“ akzeptiert. Schwule und Lesben müssen sich heute nicht verstecken und ein händchenhaltendes Männer- oder Frauenpaar erweckt nicht einmal mehr ein Gähnen – außer vielleicht im tiefsten Thüringer Wald oder in Kreuzberg und Neukölln und Duisburg-Marxloh. Aber das ist eine andere Geschichte, die sich auch durch den tausendsten CSD und die millionste Regenbogenfahne nicht heilen lässt. Mit anderen Worten: Der Kampf um Gleichberechtigung und Teilhabe wurde erfolgreich geführt – und gewonnen.

Heute flaggt jeder Supermarkt und jedes Möbelhaus in der Pampa seinen Parkplatz mit der Regenbogenfahne und langweilt bestenfalls mit seinem „Virtue Signaling“ seine Kunden. Kommen da dann mehr oder weniger Kunden oder ist es egal? Wären Schilder „wir nehmen auch das Geld von Schwulen und Lesben“ da nicht ehrlicher und unaufdringlicher – und weniger klebrig? Oder nicht sogar sowieso selbstverständlich, weil an keiner Kasse des Westens ein Kunde gefragt wird, ob er „irgendwie schwul“ sei und je nach Antwort nicht bedient würde.

Jede Firma, die meint, etwas auf sich halten zu müssen, wirbt heute mit dem Regenbogen. Außer im Nahen und Mittleren Osten. Da möchte man die Gefühle der Kunden nicht verletzen, die sind zivilisatorisch noch nicht so weit. Die erbärmliche Heuchelei und die Dauerbeschallung mit den „Regenbogenthemen“ führt mittlerweile zu Trotzreaktionen wie dem „Stolzmonat“, mit dem genervte Bürger den „Pride-Month“ karikieren und sich ihrerseits farblich abgestufte Deutschlandfahnen in die Social-Media-Profile packen.

Aber auch die LGBTQ-Szene hat sich gewandelt und ist heute in sich selbst zerstritten. Schwule und Lesben und Bisexuelle distanzieren sich heute offen und öffentlich von TQ++, die nicht mehr als Organisation „für gleiche Rechte“, sondern zum Schaufenster von sexuellen Kinks, offensichtlichen Perversitäten bis hin zu latenter Pädophilie und seltsamen Geistesstörungen in öffentlichen und privaten Bedürfnisanstalten ein eigenes Katzenklo.

Und genau das ist auch der Grund für Schwule und Lesben (und teilweise auch vollkommen transistierten Menschen), der LGBTQ++ Community den Rücken zu kehren – sie möchten mit den entsprechenden Perversen, die eine „sexuelle Ausrichtung“ mit „sexuellen Kinks“ verwechseln, schlicht nichts zu tun haben, sondern einfach in Ruhe gelassen werden. Sie sind keine Alliierten, keine „Allies“ mehr, wie es im Szene-Jargon heißt. Diese Rolle der „Verteidiger“ haben heute Teile der Antifa übernommen, bis hin zu dem Punkt, dass sich eine Gruppe von 20 für Frauenschutzräume demonstrierende Lesben in Berlin plötzlich einem Pulk von 200 Penisinhabern unterschiedlicher Coloeur gegenübersehen. Die nur durch den Einsatz von Polizei davon abgehalten werden können, gegen die Frauen übergriffig zu werden. Die Forderungen der trans Frauen gehen sogar so weit, dass Lesben gefälligst akzeptieren sollen, Männer als „Frauen mit Ladydick“ nicht nur zu tolerieren, sondern auch mit ihnen „in die Kiste zu steigen“ haben, wenn sie nicht als TERF oder Ähnliches innerhalb der Community gelten wollen. Nicht nur in Berlin – auch in London wehren sich mittlerweile Lesben gegen die Vereinnahmung von TQ++ und stellen fest: Das Geschlecht ist von Geburt an binär festgelegt. Entweder männlich – oder weiblich.

Und wofür das Ganze? Inwiefern wurde von den neuen Gesetzen, die doch zu mehr „Gerechtigkeit“ führen sollten, tatsächlich Gebrauch gemacht? Seit 2019 haben sich bis zum 30sten September 2020 ganze 400 Leute als „divers“ eintragen lassen, hinzu wurden 19 Neugeborene als „divers“ bei den Standesämtern gemeldet. Rund 1.600 Bürger haben ihren Geschlechtseintrag von „männlich“ zu „weiblich“ oder umgekehrt ändern lassen.

Mal unter uns Pastorentöchterinnen – dafür der ganze Aufwand und die ganze Diskussion? Die Schraube ist nicht mehr fest – sie ist ab.

(Weitere manchmal auch sachliche Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro

Bildquelle:

  • Regenbogen_Holzzaun: dpa

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