INTERVIEW Top-Meinungsforscher Hermann Binkert: „Sicher ist der Tod und sonst nichts“

Erfurt – Hermann Binkert ist einer der führenden Meinungsforscher in Deutschland. Als Analyst der politischen Lage im Land gehörte er zuletzt meistens zu denen, dessen Prognosen sehr nah an der Realität lagen. TheGermanZ sprach mit ihm über die Demoskopie an sich und die Lage in Deutschland.

Hermann Binkert, Sie sind als Chef des INSA-Instituts einer der wichtigsten Meinungsforscher in Deutschland. Glauben Sie eigentlich Ihren Zahlen selbst?

Selbstverständlich. Und ich habe allen Anlass dazu. Es ist auch keine Glaubensfrage, sondern das Ergebnis sauberer Empirie. Unsere Erhebungen sind doch sehr nah an der Wirklichkeit. Wir haben vor den Landtagswahlen des letzten Jahres festgestellt, dass die Grünen in Baden-Württemberg die CDU überholt haben, dass die SPD in Rheinland-Pfalz deutlich aufgeholt hat, dass die SPD in Mecklenburg-Vorpommern deutlich vorn und die AfD vor der CDU liegt, dass sowohl in Berlin als auch in Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt CDU-SPD-Koalitionen keine parlamentarische Mehrheit erreichen werden.

Demoskopen wie Journalisten leiden unter einer deutlichen Glaubwürdigkeitskrise in Deutschland. Kann man wirklich bei 500 Befragungen am Telefon die Stimmungslage einer Nation seriös feststellen?

Ich bin kein Prophet. Wir können nur nach methodisch sauberen Erhebungen aktuelle Stimmungsbilder spiegeln. Das machen wir korrekt. Bei deutschlandweiten, repräsentativen Befragungen würde ich immer mindestens 1.000 Befragte empfehlen, für den INSA-Meinungstrend, den wir wöchentlich für BILD erheben, befragen wir regelmäßig 2.000 Bürgerinnen und Bürger. Wenn man aber die Stimmung in einer Stadt oder einem Landkreis feststellen will, dann kann man auch mit 500 Befragten schon ein gutes Stimmungsbild bekommen.

Warum gibt es oft so deutliche Abweichungen von Vorhersagen zum Beispiel bei Wahlen und dann dem tatsächlichen Ergebnis am Tag der Wahl?

So deutlich sind diese Abweichungen in der Regel gar nicht. Ich habe das schon erwähnt. Niemand war mehr wirklich überrascht, dass die Grünen in Baden-Württemberg die CDU überrundeten, weil die Institute – unseres übrigens zuerst – das in Umfragen so schon festgestellt hatten. Die Ergebnisse unserer Vorwahlbefragungen in Berlin waren bei einigen Parteien sogar näher am amtlichen Endergebnis als die Nachwahlbefragungen, die für die 18-Uhr-Prognose erhoben werden. Natürlich gibt es die statistischen Fehlertoleranzen, bei 2.000er Befragungen etwa plus/minus 2,2 Prozentpunkte, bei 1.000er Befragungen etwa plus/minus 3,1 Prozentpunkte. Und natürlich wissen wir, dass etliche Wähler sich erst sehr spät entscheiden.

Es heißt bei Wahlforschern immer, die gewonnenen Ergebnisse werden vor Veröffentlichung noch „gewichtet“. Warum fragen Sie die Leute nicht einfach nach etwas und veröffentlichen das dann 1:1?

Weil wir sicherstellen, dass alle Bevölkerungsgruppen nach Geschlecht, Alter, Region, Haushaltsgröße und Haushaltseinkommen etc., also nach soziodemografischen Merkmalen, repräsentativ vertreten sind. Und natürlich blicken wir auch auf das Wahlverhalten bei der letzten Wahl, damit die Wähler einer Partei nicht unter- oder überrepräsentiert sind. Geringfügige Gewichtungen sind da notwendig und auch sinnvoll, damit das Ergebnis tatsächlich repräsentativ ist.

Lassen Ihre Erkenntnisse zur aktuellen politischen Lage schon sichere Schlüsse zu, wer im September bei der Bundestagswahl zu den Gewinnern zählt? Oder fließt da noch viel Wasser den Rhein herunter…?

Sicher ist der Tod und sonst nichts, pflegte meine Oma zu sagen. Aus heutiger Sicht ist es sehr wahrscheinlich, dass dem nächsten Bundestag sechs Fraktionen angehören werden – AfD und FDP also den Sprung über die 5-Prozent-Hürde schaffen. Eher unwahrscheinlich ist es, dass Rot-Rot-Grün, Schwarz-Grün oder Schwarz-Gelb auf parlamentarische Mehrheiten kommen. Aus heutiger Sicht ist mit einer Fortsetzung der Großen Koalition zu rechnen. Aber alleine die SPD-Zuwächse nach der Ernennung von Herrn Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten zeigen, wie viel Bewegung da ist. Wir leben in spannenden Zeiten. Und es ist richtig, dem Volk aufs Maul zu schauen. Da kann Meinungsforschung, die die Stimmung spiegelt, helfen. Wahrscheinlich überzeugen aber Politiker, die glaubwürdig und authentisch sind, auf Dauer eher mehr, als solche, die dem Volk nach dem Munde reden.

Hermann Binkert, 52 Jahre, verheiratet, Vater von vier Kindern, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts INSA-CONSULERE, Staatssekretär a. D..

Das Interview führte Klaus Kelle.

Bildquelle:

  • Hermann_Binkert_interview: insa-consulare

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.