Freiburg nach dem Mord an einer Studentin: Die Idylle ist weg

Die Sonne scheint auf Freiburg. Doch nach mehreren Gewalttaten ist die Stimmung in der badischen Universitätsstadt getrübt. Foto: Patrick Seeger
von KLAUS KELLE und JÜRGEN RUFFreiburg – Das Bild in der Öffentlichkeit ist positiv und von Idylle geprägt: Freiburg ist grün und weltoffen, jung und lebendig, beschenkt mit Sehenswürdigkeiten und einer schönen Landschaft sowie verwöhnt von meist gutem Wetter. Der Grauburgunder ist hervorragend, das Essen auch – eigentlich gäbe es kaum einen schöneren Ort in Deutschland als hier.

Doch so ist die Stimmung hier nicht. Nach dem Mord an einer 19-jährigen Studentin, verübt von einem 17 Jahre jungen Flüchtling, ist die Verunsicherung in der Bevölkerung überall zu spüren. Klar, im Fernsehen zeigt man Menschen, die mahnen, jetzt bloß nicht überzureagieren. Bloß nicht alle Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Doch seit sich der bundesweite Fokus auf die gemütliche Großstadt im Schwarzwald richtet, ist die Stimmung mit „Unruhe“ nur unzureichend beschrieben.

«Die Stimmung verändert sich», sagt eine junge Frau, die unweit des Tatorts zum Joggen aufbricht. «Ich hätte früher nie gedacht, dass man sich hier in Freiburg mal Gedanken machen muss, ob man bei Dunkelheit noch sicher unterwegs sein kann.» Solche Ängste gebe es nun. Und die Verbrechen sind zu einem beherrschenden Thema geworden. Sie werfen ein anderes Licht auf die Studentenstadt im Südwesten, die vielen bislang als liebenswürdig und vergleichbar sicher galt. Das Bild der viertgrößten Stadt in Baden-Württemberg verändert sich. Die hohe Lebensqualität steht nun plötzlich nicht mehr im Fokus.

«Es gibt viele Titel, auf die Freiburg stolz ist. Auf diesen sind wir es nicht», sagt Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne): «Freiburg ist seit vielen Jahren die Kriminalitätshochburg in Baden-Württemberg.» So kamen im Jahr 2015 auf 100 000 Einwohner laut Polizei 12 296 Straftaten; in der Landeshauptstadt Stuttgart waren es hingegen lediglich 10 850. Dies gehört zum Alltag der Stadt im Breisgau.

Hinzu kommt nun seit Wochen eine Serie schwerer Verbrechen. Der gewaltsame Tod der Studentin, die Mitte Oktober nachts am Ufer des Flusses Dreisam vergewaltigt wurde und starb, löste in der Bevölkerung Ängste aus. Die Festnahme des Tatverdächtigen, eines 17-Jährigen aus Afghanistan, entfachte schließlich eine Debatte über die deutsche Flüchtlingspolitik. Hinzu kommt ein weiterer ungeklärter Frauenmord in Endingen bei Freiburg sowie weitere tödliche Verbrechen, die sich zeitlich häuften. So starb im Oktober ein Mann, der auf einem Platz in der Innenstadt von zwei Männern geschlagen worden war, nachdem er öffentlich uriniert hatte. Es gab, ebenfalls in der Stadt, mehrfach Übergriffe auf Frauen. Mitte November erstach ein 39-Jähriger seinen 21 Jahre alten Neffen.

«Wir haben es mit einem Phänomen zu tun, das uns alle herausfordert», sagt Freiburgs Polizeipräsident Bernhard Rotzinger. Die Häufung solch schwerer Verbrechen sei zufällig, es handele sich um Einzeltaten. Doch diese beeinträchtigten das Sicherheitsgefühl der Bürger.

«Freiburg ist statistisch gesehen nicht unsicherer als früher», sagt der Polizeipräsident. Aber empfunden werde dies vor Ort derzeit anders. Die Realität holt das positive und seit Jahren gepflegte Image ein – auch in der öffentlichen Wahrnehmung.

Mit seinen inzwischen fast 230 000 Einwohnern ist Freiburg laut Statistischem Landesamt die am schnellsten wachsende Stadt in Baden-Württemberg. Das schafft Probleme. Hinzu kommen die Grenznähe zu Frankreich und zur Schweiz und die Tatsache, dass Freiburg vor allem bei jungen Leuten inzwischen als Szene-Stadt gilt, wie der Staatssekretär im Stuttgarter Innenministerium, Martin Jäger, sagt. Dies alles lockt auch Kriminelle. Sogenannte Alltagskriminalität sowie soziale Spannungen seien die Folge. Über diese wurde die badische Universitätsstadt bislang nie definiert.

«Freiburg ist kein süddeutsches Bullerbü», sagt der Oberbürgermeister im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur und spielt damit auf die Kinderbuchreihe der schwedischen Autorin Astrid Lindgren an. Ähnlich formuliert er es auch im Gespräch mit anderen Medien, etwa «Spiegel Online». «Freiburg hat mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie jede andere Großstadt auch», sagt Salomon. Neben den gutbürgerlichen Vorzeigevierteln gebe es, wie vielerorts, soziale Brennpunkte und Problembezirke. Überdurchschnittlich hohe Immobilienpreise und Mieten verschärfen soziale Spannungen. Auch überregional werde das nun gesehen.

Die Polizei versucht es nun mit zusätzlichen Beamten und erhöhter Präsenz auf den Straßen. «Es geht dabei vor allem darum, ein Zeichen zu setzen gegen ein latent vorhandenes ungutes Gefühl in der Stadt», heißt es. Die Bürger seien dankbar dafür. «Unsere Weltoffenheit und unseren Lebensstil lassen wir uns von solchen Verbrechen nicht nehmen», sagt ein älterer Mann in der Innenstadt.

«Bei den bisherigen Krisen hat sich bewährt, dass die Bürger in Freiburg auf einem soliden Werte- und Demokratiefundament stehen», betont der Oberbürgermeister. «Es ist uns in Freiburg bislang immer gelungen, vernünftig an die Probleme heranzugehen.» Dies gelte auch im aktuellen Fall, der eine dunkle Seite der Flüchtlingskrise zeige.

Flüchtlingshilfe an sich werde von den meisten Bürgern auch nach dem gewaltsamen Tod der Studentin und dem Tatverdacht gegen einen jungen Mann aus Afghanistan nicht infrage gestellt, sagt ein Sprecher örtlicher Initiativen. Als die AfD nach der Festnahme des Flüchtlings zur Protestkundgebung gegen Zuwanderung aufrief, standen die 15 Teilnehmer rund 300 Gegendemonstranten gegenüber.

Politisch ist die Dominanz in der studentisch geprägten und als liberal geltenden Stadt am Oberrhein klar: Rot-Grün hat bei Wahlen in Freiburg seit vielen Jahren eine deutliche Mehrheit. Und mit dem 56 Jahre alten Salomon sitzt seit 2002 der erste grüne Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt im Rathaus. Im Gemeinderat dirigiert er eine grün-schwarze Mehrheit. Die AfD oder andere rechte Gruppen sind nicht vertreten. (dpa)

Bildquelle:

  • Freiburg: dpa

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.